Mit 40’000 Franken auf Post-Tour

Seit 44 Jahren verteilt Hanspeter Waser die Post in Zollikon und nie hatte der Pöstler mehr Geld in seinen Hosentaschen denn als Lehrling bei der PTT, der heutigen Schweizerischen Post.

Hanspeter Waser, seit 44 Jahren als Pöschtler in Zollikon unterwegs. (Bild: cef)

Was im Zolliker Boten stand, wusste Hanspeter Waser immer schon einen Tag vor allen anderen. Zwei Jahre nach seiner Lehre wechselte er vom Zustell- in den Expressdienst. «Dazu gehörte, dass ich am Donnerstagabend den Zolliker Boten vom Güterzug abholte, der damals mit der Zürichsee-Zeitung in Stäfa gedruckt wurde», erinnert sich Hanspeter Waser, der am 1. April 1977 in Zollikon seine Lehre begann und der Schweizerischen Post seither die Treue hielt, auch die Auflösung der PTT noch miterlebte, die am 1. Januar 1998 ihre Aufgaben auf Swisscom und die Schweizerische Post übertrug.

Nebst der Abholung des Zolliker ­Boten sortierte Hanspeter Waser im Expressdienst alles, was pressierte, für den Versand vor. «Vor allem die Weihnachtszeit war streng», dann war die Eile besonders gross, schon früher. Jetzt noch mehr. Inzwischen wurde der Expressdienst längst ausgelagert, die Post einige Male umstrukturiert. Veränderungen, die Öffentlichkeit und Medien mal lauter, mal leiser kommentierten, über die auch Kundinnen und Kunden mit Hanspeter Waser diskutierten, wohl wissend, dass er die Geschäfte jener nicht beeinflussen konnte, die den Unternehmenskoloss weitab von Zollikon dirigierten.

Hinter einigen Anpassungen konnte er stehen, hinter anderen nicht, aber mit Veränderungen konnte er immer gut umgehen, im Gegensatz zu vielen Kolleginnen und Kollegen. Inzwischen ist er der älteste auf der Poststelle in Zollikon. Pensioniert werde er erst in drei Jahren, darüber zu sprechen sei noch zu früh. Ihm pressiere es gar nicht. «Wenn ich länger bleiben kann, bleibe ich, wenn ich früher gehen muss, gehe ich. Letztlich bestimmt auch der Blick ins Portemonnaie diesen Entscheid», sagt Hanspeter Waser, der seine Arbeit nach wie vor gerne tut und mit Freude zurückblickt, auf das, was war.

«In der Stifti hatten wir drei Motorräder für zwölf Touren, bedienten damit die Haushalte ab der Rotfluhstrasse Richtung Zollikerberg, den Rest machten wir zu Fuss. Da blieb man fit. Der Zollikerberg hatte schon damals eine eigene Poststelle, und beim Bahnhof führte ein Posthalter-Ehepaar zusätzlich eine Annahmestelle. Heute haben wir für ein viel grösseres Zollikon eine Poststelle, eine Agentur im Zollikerberg im Kiosk Bahnolino und sechs Leute auf sechs Touren im Einsatz – inzwischen sind alle motorisiert», erzählt Hanspeter Waser und erinnert sich, wie aufkommende E-Mails einen Grossteil der Briefpost schluckten.

Prominente Vorboten der Digitalisierung, die sich postwendend auf den Betrieb auswirkten. Auch Rechnungen flattern inzwischen vermehrt in elektronische Briefkästen. Eine Zunahme verzeichnet indes die Paketpost. Früher lieferten zwei Paketboten ihre Ware in Zollikon mit einem VW-Bus aus. Da habe man auch mal abgetauscht, ein paar Briefe gegen ein Paket. Heute kommen die Pakete aus der Paketzen­trale in Hinwil. Man kennt sich kaum noch. «Was in Kisten und ­Rolli verschickt wird, nehmen wir mit, darunter viel Ware aus China, verpackt in grauem Plastik.» Er selber bestelle selten online, habe noch nie ein Zalando-Päckli erhalten, aber schon einige zugestellt.

Verändert hat sich aber nicht nur die Ware, die der Post anvertraut wird, sondern auch die Menschen, die er bediene und nicht zuletzt die Gemeinde selbst. «In Zollikon gab es damals viele Villen mit grosszügigem Umschwung, die inzwischen zahlreichen Mehrfamilienhäusern gewichen sind. Das viele Grün ist heute recht verbaut. Auch der Umgang war anders. Eine verspätete Zeitung war kein Grund für Reklamationen. Man hatte Zeit für einen Schwatz, schliesslich brachte ich den Leuten noch die AHV ins Haus. Ich hatte nie mehr Geld in den Hosentaschen denn als Stift. Das waren manchmal 30’000 bis 40’000 Franken – für jeden Haushalt fein säuberlich abgezählt und in vorbestellten Banknoten sortiert. Damals führten viele noch kein Bankkonto und bewahrten ihr Geld zu Hause auf», erinnert sich Hanspeter Waser, der in Stäfa aufgewachsen ist und heute mit seiner Familie – er ist verheiratet und hat einen Sohn – in Stäfa-Uerikon wohnt.

Hanspeter Waser brachte also nicht nur Rechnungen, sondern auch viel Gutes ins Haus oder an die Hochzeitstafel, wenn er frisch Vermählten Telegramme übergab. Die ­trafen meistens zwischen dem Hauptgang und dem Anschneiden der Hochzeitstorte ein: Die Wirtin nahm die Telegramme vom Postboten in Empfang, brachte sie in den Festsaal, wo sie der Tafelmajor stehend verlas. Telegramme verteilt er längst nicht mehr, auch sonst ist vieles anders: «Der Betrieb ist anonymer. Viele sind tagsüber gar nicht zu Hause. Den Pöstler kennt man kaum noch, und wir bedienen mehr Haushalte als früher, sind auf grösseren Touren unterwegs.» Beklagen tut sich Hanspeter Waser nicht, im Gegenteil, er nimmt gesellschaftliche und technische Veränderungen als das, was sie sind: unausweichlich und im Grunde weder gut noch schlecht. Und so macht er sich auch nach 44 Jahren noch gerne auf seine Touren – bescheiden, zufrieden und glücklich mit dem, was er hat.