«Die Stellung der Kirche hat sich verändert»

Anne Käthi Rüegg-Schweizer war fast 40 Jahre lang Pfarrerin – die vergangenen 20 Jahre arbeitete sie in der Gemeinde Zollikon. Jetzt wird sie pensioniert und lässt für den Zolliker Zumiker Boten ihr Engagement Revue passieren.

Die Pfarrerin Anne-Käthi Rüegg-Schweizer schaut mit Neugier in die Zukunft. (Bild: ab)
Die Pfarrerin Anne-Käthi Rüegg-Schweizer schaut mit Neugier in die Zukunft. (Bild: ab)

Sie haben 20 Jahre lang für die reformierte Kirche Zollikon gearbeitet. Was hat sich hier besonders verändert?

Die Einstellung der Gesellschaft zur Kirche. Vor 20 Jahren war es eine Selbstverständlichkeit, dass die Kirche zum Ort und in die Gemeinschaft gehörte. Das ist heute nicht mehr unbedingt so. Auch als Pfarrperson hatte man einen anderen Stellenwert, mit allen Vor- und Nachteilen. Es war zum Beispiel klar, dass man als Pfarrerin dem Gemeindepräsidenten einen Antrittsbesuch abstattete, dass Beziehungen zu verschiedensten Behörden gepflegt wurden. Die Pfarrerin war selbstverständlich ein wichtiger Teil der Dorfgemeinschaft. Diese selbstverständliche Vernetzung ist heute nicht mehr vorhanden.

Die Menschen sind heute viel freier zu entscheiden, ob sie zur Kirchengemeinschaft dazugehören wollen oder nicht. Es ist weniger Zwang und das ist gut so, allerdings mit dem Preis der Unverbindlichkeit. Individualität ist wichtiger als Solidarität. Trotzdem erlebe ich, dass die Kirche und der Glauben in gewissen Lebenssituationen sehr wichtig bleiben. Zum Beispiel bei einem Todesfall ist das Abschiedsritual unseres Glaubens vielen wichtig, auch wenn die Betreffenden schon lange nicht mehr der Kirchengemeinde angehören. Auch aus der Kirche ausgetretene junge Eltern erwarten manchmal mit grosser Selbstverständlichkeit, dass ihre Kinder getauft werden. Ich habe das Anliegen ernst genommen, auch wenn das gewünschte kirchliche Ritual zum Kirchenaustritt in einem gewissen Widerspruch steht.

Was war Ihnen bei Ihrer Arbeit besonders wichtig?

Die Kommunikation mit den Menschen. Viele sagten mir, dass ich eine Pfarrerin zum «Anfassen» sei, was ich als ein Zeichen für meine Nähe zu den Menschen deute, und so soll es ja auch sein. Ich habe immer versucht, Menschen mit meinen Worten zu erreichen – das ist heute noch wichtiger als vor 20 Jahren. Früher war klar, wie man sich in gewissen Situationen verhält. Heute ist mehr möglich, aber viele Menschen sind von dieser Entscheidungsfreiheit immer wieder überfordert.

Haben sich die Menschen Ihrer Meinung nach verändert?

Ich denke schon. Wir haben mehr Möglichkeiten und müssen unsere Rollen stärker suchen. Zum Beispiel ist es für die Frauen heute toll, dass es so viele Familienmodelle gibt. Aber einfacher wird das Leben dadurch nicht. Nur anspruchsvoller! Alles unter einen Hut zu bekommen ist oft herausfordernd und komplex. Die Menschen sind informierter, auch durch die digitalen Medien. Ob sie aber besser informiert sind, weiss ich nicht, denn oftmals sind Nachrichten nicht mehr richtig überprüfbar. Man will mehr mitreden als früher. Bei Abdankungen wurde ich auch schon gefragt, ob meine Predigt im voraus gelesen werden könne. Der Wunsch nach Basisdemokratie ist grösser. So wird bei Wahlen nicht einfach der Stimmzettel mit der Wahlempfehlung der politschen Partei abgegeben, die einem am Nächsten steht, sondern man schaut sich die Vorlagen genauer an.

Was sind Ihre schönsten Erinnerungen an die Zeit in Zollikon?

Auf jeden Fall das Mitarbeiter- und Pfarrteam. Wir waren 15 Jahre lang ein konstantes Team. Alle total verschieden, aber wir konnten uns ­immer aufeinander verlassen, haben einander akzeptiert und hatten alle das gleiche Rollenverständnis. Unser Beruf war integriert in unser gesamtes Leben. Wir waren einfach für die Menschen da. Ich erinnere mich gerne an die Chorprojekte und die Gemeindereisen. Auch die Arbeit mit Freiwilligen hat mir grosse Freude bereitet. Mein jüngstes Projekt, das «Café am Puls» mit dem Strickcafé im Zollikerberg oder das «Singe mit de Chliine» wäre ohne diese Freiwilligenarbeit gar nicht möglich.

Nun werden Sie Mitte des Jahres pensioniert. Haben Sie Pläne?

Erstmal will ich mir Zeit zum Durchatmen geben und dann einfach schauen, was auf mich zukommt. Ideen sind da. Vielleicht Reisen, vielleicht ein Freiwilligeneinsatz. Vielleicht Sprachen lernen oder Lebenserfahrung als Coach weitergeben. Oder gar ein Studium. Ich bin mir bewusst, dass es zu ­einer Krise kommen könnte, aber ich bin neugierig auf das, was mir das Leben noch bringen wird.

Mit Anne Käthi Rüegg-Schweizer sprach Antje Brechlin


Dreimal Licht & Klang «Special» zum Abschied

Am Wochenende vom 5. und 6. Juni verabschiedet die reformierte Kirchgemeinde Zollikon ihre langjährige Pfarrerin Anne-Käthi Rüegg-Schweizer im Rahmen von drei Licht & Klang-Feiern. Die vom Bundesrat beschlossenen Lockerungen ermöglichen es nun, die Maximalzahl auf 100 Personen zu erhöhen. Wer sich bis heute nicht angemeldet hat und bei diesem sowohl für Anne-Käthi Rüegg-Schweizer wie auch für die Kirchgemeinde markanten Einschnitt gerne dabei sein möchte, kann sich ab heute online via www.ref-zollikon.ch oder via Sekretariat, Telefon 044 391 46 82, für eine der drei Feiern anmelden.

  • Samstag, 5. Juni, 17.15 Uhr, Kirche Zollikon
  • Samstag, 5. Juni, 19.00 Uhr, Kirche Zollikon
  • Sonntag, 6. Juni, 17.00 Uhr, Kirche Zollikerberg

Zusätzlich besteht die Gelegenheit, sich bei einem Kaffee persönlich von Anne-Käthi Rüegg-Schweizer zu verabschieden.

  • Mittwoch, 9. Juni, zwischen 15 – 17 Uhr im Pfarreizentrum der kath. Kirche Zollikon
  • Donnerstag, 10. Juni, zwischen 14 – 17 Uhr im Café am Puls Zollikerberg