«Die Landwirtschaft hat an Romantik verloren»

Thomas Friedli ist einer der zwei letzten Bauern von Zollikon und ein authentischer Botschafter seines Berufsstandes. Mit einer klaren Mission.

Brückenbauer mit Weitsicht: Landwirt Thomas Friedli. (Bild: sb)
Brückenbauer mit Weitsicht: Landwirt Thomas Friedli. (Bild: sb)

Wie hat sich die Landwirtschaft seit Ihrer Kindheit in den 1960er-Jahren entwickelt?

In meiner Kindheit gab es allein im Zollikerberg mehr als fünf Bauern. Früher hielt man noch Tiere und pflegte eine lebendige Landwirtschaft. In meiner Wahrnehmung war die Landwirtschaft auch stärker in der Gesellschaft verankert. Indem die Stadt immer mehr aufs Land hinausgewachsen ist, hat sich die Landwirtschaft sehr verändert und damit auch der Bezug der Bevölkerung zu unserer Arbeit.

Ausserdem wurden die Bauern zu Millionären.

Das ist auch so ein Klischee, das sich hartnäckig hält. Es gab Bauern, die das Glück hatten, auf Bauland zu wirtschaften. Diese Bauern ­haben tatsächlich ausgesorgt. Das ist hier in Zollikon noch extremer als irgendwo auf dem Land. In unserem Fall war es aber nicht so. Einzig der elterliche Hof in der Dorfkernzone, den ich mit meiner Familie bewohne, steht auf Bauland. Wir sind allerdings fünf Kinder, weshalb sich auch dieses Kapital verteilen wird. Das mit dem Millionär ist also weniger mein Thema.

Hand aufs Herz, ist auch mal Neid auf andere Bauern aufgekommen?

Nein. Ich bin so erzogen worden, dass man sich nicht vom Futterneid leiten lässt. Mir geht es gut und ich kann mehr oder weniger tun, was ich will. Was will ich mehr?

Heute gibt es in Zollikon mit Ihnen und Fabian Weber gerade noch zwei aktive Landwirte. Wie ist es eigentlich zu diesem massiven Bauernsterben gekommen?

Als mein Bruder Mitte der 1980er-Jahre den Hof übernahm, hat man die Kühe verkauft. Der Umbruch fand quasi während meiner Lehrzeit statt. Wir hatten rund 15 Kühe. Zu wenig, um davon existieren zu können. Die Milch war damals kontingentiert und es war unklar, ob man überhaupt mehr Kontingente für weitere Kühe erhalten hätte. Und wenn, dann hätte man einen Stall bauen müssen. Das ist alles irgendwie nicht aufgegangen. Das Bauernsterben hat also nichts mit Zollikon zu tun. Das ist im Zuge der damaligen Landwirtschaftspolitik passiert. Stichwort Milchpreiszerfall, Butterberg et cetera. All diese Umstellungen der 70er- und 80er-Jahre haben dazu geführt, dass wir heute nur noch reinen Ackerbau betreiben und auf Getreidebau mit Saatzucht umgestellt ­haben. Ich vermehre Gerste, Weizen und Hafer. Wobei die Bedingungen hier oben mit schweren und kalten Böden für ein reines Ackerbaugebiet eigentlich bereits grenzwertig sind. Doch die Umstände waren so, dass man sich neue Standbeine und Geschäfts­modelle suchen musste. Fabian ­Weber und ich bewirtschaften heute praktisch alle Agrarflächen, die es in Zollikon noch gibt. Viele davon in Pacht. Durch diese Entwicklung sind wir beide gewachsen. Dieses Wachstum und die Umstellung auf den Ackerbau hat uns das Überleben ermöglicht.

Stimmt Sie das manchmal auch nostalgisch?

Die Landwirtschaft hat an Romantik verloren. Viele Leute sind sich der wirtschaftlichen Realitäten unseres Berufsstandes nicht bewusst. Ackerbau hat Zeitreserven freigesetzt. Denn wirklich arbeitsintensiv ist die Tierhaltung sowie der Obst- und Gemüsebau. Mein Betrieb ­umfasst rund 60 Hektaren und ist so organisiert und maschinell optimiert, dass ich ihn grösstenteils ­alleine bewirtschaften kann. Damit könnte ich für mich alleine von der Landwirtschaft leben. Aber die Entbehrungen wären relativ gross. Deshalb arbeite ich in einem 40 Prozent-Pensum als Busfahrer auf dem Flughafen Kloten. Ich mache das seit 17 Jahren und es hat mich völlig gepackt. Auch wenn ich die Fliegerei aus ökologischen Gründen in Frage stelle und die ganze Schrumpfung, die wir mit der Pandemie erleben, durchaus Vorteile hat: ökologisch und ökonomisch – so sehr mich persönlich die aktuelle Situation auch schmerzt.

Arbeitet Ihre Frau mit im Betrieb?

Meine Frau ist im Personalbereich tätig. So geht es uns gut. Doch ohne diese Einkünfte, die wir im Angestelltenverhältnis verdienen, müssten wir uns deutlich mehr einschränken. Es ärgert mich immer ein bisschen, wenn die Bauern wegen der Subventionen und Direktzahlungen in Verruf kommen. Wir sind teuer. Das ist so. Aber auf Rosen gebettet sind wir sicher nicht. Und mit der Pflege des Kulturlandes tragen wir am Ende auch zum Wohlbefinden der Bevölkerung bei.

Aus Ihren Worten spricht ein ­starkes Sendungsbewusstsein. Was treibt Sie an?

Man müsste die falschen Vorstellungen, die über die Landwirtschaft kursieren, quasi von unten her korrigieren. Indem man die Öffentlichkeit, vor allem auch die Kinder bereits frühzeitig informiert. Vor etwa 15 Jahren habe ich der Schule in Zollikon angeboten, den Schulkindern auf einer Exkursion die Landwirtschaft vor Ort und zum Anfassen etwas näherzubringen. Leider ist das versickert. Aber das Angebot gilt. Umso mehr ich demnächst mein politisches Amt in der Sozialbehörde abgeben und mehr Kapazitäten haben werde. Es geht mir nicht darum zu missionieren, aber ich mag es, mit den Menschen zu reden und baue gerne Brücken.

Die Gemeinde Zollikon erarbeitet derzeit ein Leitbild zum Thema Landwirtschaft. Damit möchte der Gemeinderat unter anderem Biodiversitätsflächen fördern und auch das Bewusstsein der Bevölkerung für die Landwirtschaft intensivieren.

Das ist ein Zufall, passt jetzt aber tatsächlich perfekt. Die Gemeinde nimmt damit eine Entwicklung in ein Leitbild auf, die bereits seit längerer Zeit im Gang ist, und erhöht damit den Anreiz für eine biologischere Bewirtschaftung unserer Kulturflächen. Ich habe in den letzten zehn Jahren die Biodiversitätsflächen verdoppelt. Dazu zählen Magerwiesen oder auch Blumenwiesen, die ich in Absprache mit dem Naturnetz Pfannenstil angelegt habe. Ebenso Äste- und Steinhaufen, die Lebensraum für Insekten und andere Tiere bieten. Die Wiesen mähe ich nicht mit einem Kreiselmäher, sondern mit einem Messerbalken. Damit fährt man weniger schnell, und die Bewohner der Wiese haben mehr Zeit zu flüchten. Zudem haben wir ein Trüffelfeld angelegt, wo wir auf eine baldige Ernte hoffen. Auch mein Kollege Fabian Weber ist im Bereich der Biodiversität sehr aktiv.

Mit Thomas Friedli sprach Simon Bühler


Steckbrief

Thomas Friedli, 1964 im Zollikerberg geboren, wächst im Weiler Oberhueb auf dem elterlichen Betrieb mit zwei Schwestern und zwei Brüdern auf. Nach der Volksschule folgt eine Lehre als Lastwagenmechaniker mit Weiterbildung an einer Handelsschule. 1994 steigt er in den Betrieb ein, weil sein Bruder nach Frankreich auswandert. Neben der Bewirtschaftung des reinen Ackerbetriebs arbeitet der Vater zweier erwachsener Söhne in einem 40 Prozent-Pensum als Busfahrer auf dem Flughafen Kloten. Daneben engagiert sich Friedli seit bald zwölf Jahren als Mitglied der Zolliker Sozialbehörde und möchte sich nach diesem Mandat künftig noch stärker in der Vermittlung der Landwirtschaft engagieren.