Maike, Arne, Oma und ihr Lover

Unsere beiden Redaktoren Birgit Müller-Schlieper und Tobias Chi schreiben nicht nur leidenschaftlich gerne Lokalgeschichten, sondern auch Romane. Beide haben sie bereits eigene Bücher verfasst. Was sagt die eine zum Buch des anderen? Buchkritiken zweier Experten.

Buchautorin und ZoZuBo-Redaktorin Birgit Müller-Schlieper. (Bild: zvg)
Buchautorin und ZoZuBo-Redaktorin Birgit Müller-Schlieper. (Bild: zvg)

Birgit Schliepers temporeicher Roman erzählt von einem ­Roadtrip von der süddeutschen Pampa quer durch Frankreich bis ans Meer. Beziehungsknatsch, Intrigen und messerscharfe Beobachtungen reisen immer mit.

Sexau: Bei diesem Wort mag einem vieles in den Sinn kommen, vermutlich aber nicht ein verschlafenes 3000-Seelen-Dorf im Schwarzwaldgebiet, das tatsächlich so heisst. Es ist einer von vielen Schauplätzen in Birgit Schliepers furiosem Roman «Maike, Martha und die Männer». Maike, die Ich-Erzählerin, beschreibt ihre Ankunft in Sexau so: «Wir sind schon gut vier Stunden unterwegs, als wir kurz hinter Freiburg offenbar die Gegenwart verlassen. Ich habe vor ein paar Jahren eine Sendung gesehen, in der Menschen so tun, als würden sie vor hundert Jahren leben. Ich bin sicher, die Serie wurde genau hier gedreht.»

Maike ist eine angehende Studentin aus Köln, die seit kurzem einen neuen Freund hat. Arne entspricht dem, was man einen Frauenschwarm nennt: Er sieht toll aus, ist durchtrainiert und überaus selbstbewusst. Eigentlich scheinen die beiden nicht so recht zusammenzupassen, zumal Maike sich eher als Durchschnittstyp wahrnimmt: «Ich bin jetzt nicht hässlich wie die Nacht. Aber Arne sieht schon ein bisschen zu gut für mich aus.» Maike rechnet fest damit, dass auch Arne eines Tages das Attraktivitätsgefälle zwischen ihnen feststellen und sie dann sitzen lassen wird. «Bis dahin warte ich einfach und mache mir eine gute Zeit», lautet ihre Devise. Erste Anzeichen für Arnes Desinteresse liegen jedenfalls bereits in der Luft: Auf die Frage eines Freundes, wie lange er schon mit Maike zusammen sei, antwortet er nur: «Weiss nicht genau. Ich glaube, sie hatte schon drei Mal ihre Tage.»

Provinz statt Provence

Auch bei der Suche nach einem Reiseziel für die Sommerferien finden die beiden keinen gemeinsamen Nenner. Maike liebt das Meer, warme Nächte und Luft, die immer ein bisschen nach Sonnencreme riecht. Als Arne Ferien im Schwarzwald vorschlägt, versucht sie krampfhaft, «Schwarzmeer» zu verstehen – leider vergeblich. «Süsse, ich weiss, dass das total langweilig und spiessig klingt. Aber lass dich überraschen. Es ist einfach wunderschön da. Die Berge, die Seen, die Luft. Du wirst es lieben.» Sollten diese Worte nicht genügen, so tut ein brauner, mit kleinen blonden Haaren gespickter Streifen Haut oberhalb seines Jeansbundes das Seinige, um die frisch Verliebte von den Sommerferien im süddeutschen Hinterland zu überzeugen. Der Beau erklärt Maike immerhin auch den Hintergrund seines Ferienwunsches: Sexau ist das Kaff, in dem er aufgewachsen ist. Wenn seine Eltern im Sommer in die Ferien verreisen, bleibt seine Oma ganz allein in dem verwaisten Haus zurück. Also ist bei ihm jedes Jahr Oma-­Sitting in Sexau angesagt.

Statt in die Provence geht’s also erst mal in die Provinz. Arnes wahre Absichten erschliessen sich Maike allerdings erst, als sie bereits in der Falle sitzt. Schon am zweiten Morgen des Urlaubs, den sie grösstenteils unter einem Schlümpfe-­Setzkasten in Arnes ehemaligem Kinderzimmer verbringt, findet sie einen handgeschriebenen Zettel ihres Lovers vor, der sich zwecks Reflexion über ihre Beziehung in die Einsamkeit zurückgezogen haben will. Zurück in dem spiessigen Haus bleibt Maike mit Arnes Oma. Diese entpuppt sich als gar nicht so hilfsbedürftig, sondern als selbstbestimmtes Mütterchen mit einer Vorliebe fürs Kegeln, Kartenspiel und Starbucks-Kaffee. Nach einer ersten Beschnupperung der beiden ungleichen Frauen erfährt Maike von Oma Martha, dass Arne seit Jahren dieselbe Nummer abzieht: Damit seine Eltern ihm das Studium finanzieren, muss er seine Sommerferien jeweils im Schwarzwald verbringen, um auf seine Oma aufzupassen. «Das mag Arne aber nicht. Er will lieber irgendwo Kite-Surfen oder Free-Climbing betreiben. Also lacht er sich rechtzeitig vor den Ferien eine dumme Maus an, die er dann bei Oma lässt. Dumme Maus bleibt natürlich bei Oma.»

Abgeklärte Schnelldenkerin

Doch in diesem Jahr sollte Arnes Rechnung nicht aufgehen. Denn Maike ist alles andere als eine ­dumme Maus, sondern eine scharfzüngige, für ihr zartes Alter von ­Anfang zwanzig erstaunlich abgeklärte Schnelldenkerin, die sich nicht alles gefallen lässt – schon gar nicht von Männern, die sie für eine dumme Maus halten. Und so dauert es nicht lange, bis sie sich am Steuer von Marthas orangefarbenem Ford Escort aus den 80er-Jahren wiederfindet. Das Reiseziel ist Paris, auf dem Rücksitz tummelt sich neben Martha auch deren ebenso betagter Liebhaber Karl-Werner, dem ­Maike wegen seiner körperlichen Kompaktheit insgeheim den Spitz­namen «Karl, der Käfer» verpasst. Bald gesellt sich ein Tramper namens Niko dazu, der Maike auf dem Beifahrersitz nicht nur die Zeit verkürzt, sondern auch den Kopf verdreht. Zwar erinnert seine Frisur an Boris Johnson, doch wenn er Maike ansieht, «stehe ich auf einem Drei-Meter-Brett im Freibad und sehe nur blau.»

Zu Maikes Leidwesen ist Niko – in seiner bescheidenen Art so etwas wie der Gegenpol zum selbstverliebten Arne – in Paris mit einer weiblichen Chatbekanntschaft verabredet. Diese entpuppt sich als höchst flüchtiges Wesen, das ständig «wie eine Möhre vor Nikos Augen baumelt» und nicht nur ihn, sondern auch das Trio Maike, Martha und Karl-Werner von einer Station zur nächsten treibt. Inzwischen ist ihnen auch Arne auf den Fersen, der zwar nicht Maike, aber seine Oma zurückhaben will, sodass eine zeitversetzte Polonaise durch die französischen Metropolen Paris, Tours, Le Mans oder ­Arcachon zieht. Für zusätzliche Brisanz sorgen ein Handy-Verlust, fehlende Steckdosen sowie die regelmässigen Anrufe von Maikes bester Freundin, die sich gerade auf Korfu vergnügt. Der Plot lässt viel Raum für abstruse Situationen, die oft zum Schreien komisch sind. Zum Beispiel hat sich eine von Arnes Gespielinnen dessen Namen auf die Pobacke stechen lassen. Nach dem Liebes-Aus machte sie mangels Alternativen ein «Warne dich» daraus. Neben der rasant erzählten Geschichte lebt der Roman von Birgit Schliepers unermüdlichem Wortwitz, der bis zuletzt für ein vergnügliches Leseerlebnis sorgt. Da ist es beinahe sekundär, dass am Ende aller Irrungen und Wirrungen Arne sein Fett wegkriegt und Maike möglicherweise doch noch den Richtigen findet.

Birgit Schlieper
«Maike, Martha und die Männer»
205 Seiten, 2020, Kirschbuch Verlag
ISBN 9783948736002