«Sie war ihrer Zeit weit voraus»

In einer grossen Retrospektive zeigt Barbara Langraf Fellmann zusammen mit ihrer Nichte Sarah Langraf und der Kuratorin Daria Faerber in Zürich Stillleben, Selbstporträts und abstrakte Werke ihrer bekannten Grossmutter, der Schweizer Künstlerin Mimi Langraf.

Frau Langraf, haben Sie persönliche Erinnerungen an Ihre Grossmutter?

Viele. Ich war schon fast 17 Jahre, als meine Grossmutter starb. Sie wohnte wie meine Familie in ­Zürich und wir haben sie oft besucht.

War Mimi Langraf die typische Oma, die nachsichtig und fürsorglich ist?

Nein, das war sie nicht. Ich erinnere mich zum Beispiel noch immer an ihren scharfsinnigen und durchdringenden Blick. Sie liebte Diskussionen, war eine richtige Intellektuelle, die mit Philosophen wie Karl Jaspers einen Briefwechsel führte. Auch an spirituellen Fragen war sie sehr interessiert, man sieht das an manchen Bildern, wo mitten im Geschehen ein Engel auftaucht.

Und Ihr Grossvater?

Der war genau das Gegenteil. Bei dem sass ich oft auf den Knien. Ich erinnere mich daran, mit ihm Musik gehört zu haben. Er war ein sehr toleranter Mensch und hat seine Frau machen lassen. Das war in ­jener Zeit alles andere als selbstverständlich.

Zum Leidwesen seiner Eltern?

Absolut, die Schwiegereltern waren nicht glücklich mit einer Schwiegertochter, die lieber Schopenhauer las, als ihrem Mann das Essen zu kochen, und bei Schwierigkeiten Sigmund Freud konsultierte. Mimi Langraf war einfach sehr unkonventionell und ihrer Zeit weit voraus.

Wie kamen Sie auf die Idee zu der Ausstellung?

Ich trage die Idee schon ganz lange mit mir herum. Meine Schwester und meine Nichte haben vor Jahren schon einmal einen Anlauf genommen und alle Werke fotografiert. Die Schwierigkeit war, eine Galerie zu finden, in der auch die sehr grossformatigen abstrakten Bilder gezeigt werden können. Mit der Galerie in der Sihlstrasse haben wir nun einen guten Ort gefunden, der dem Ausmass der Ausstellung gerecht werden kann.

Sie selber haben in Ihrer Praxis für Psychotherapie und Psychoanalyse drei Werke Ihrer Grossmutter hängen. Warum nicht mehr?

Aus Platzgründen. Ich habe mehr Werke von ihr bei mir zuhause. Aber ich bin jetzt erst mal sehr froh, dass ein Teil der 300 Bilder, die bislang im Keller gelagert wurden, nun das Tageslicht sehen und vor allem gesehen werden. In dieser grossen Ausstellung widerspiegelt sich die gesamte Bandbreite des Schaffens von Mimi Langraf, das vom Figurativen bis zum Abstrakten geht.

«Mimi Langraf – eine Retrospektive», Galerie Sihlstrasse 91, 8001 Zürich, 12. bis 15. und 18. bis 21. März, von 11 bis 19 Uhr.


Zur Person Mimi Langraf

Die Künstlerin Mimi Langraf wurde 1896 in Wien geboren und gilt mittlerweile als wichtige Vertreterin der Kunstentwicklung in der Schweiz des 20. Jahrhunderts. Sie wächst in einer aufgeklärten jüdischen ­Familie auf und besucht die ­Wiener Akademie der bildenden Künste. 1916 heiratet sie den Unternehmer Paul Langraf. Zusammen haben sie die Kinder Fritz und Eva. Nach dem Ersten Weltkrieg zieht die Familie nach Luzern, wo sich Mimi und Paul Langraf in intellektuellen Kreisen bewegen. Mit dem Umzug in die Schweiz konvertiert die Familie zum Katholizismus. Mimi Langraf beginnt, sich intensiv mit der Malerei zu beschäftigen, und richtet ihr erstes Atelier ein. Ihre ersten Werke zeigen vor allem malerische Landschaften, Stillleben und Selbstporträts, die von Licht und Emotionen geprägt sind. Bereits im Jahr 1926 kauft das Kunstmuseum Luzern eines ihrer Werke – ein Selbstporträt, das noch immer im Besitz der Institution ist.

1929 zieht die Familie nach Zürich ins Universitätsquartier und bewohnt ab 1935 ein Haus in Witikon. Dort verfügt die Künstlerin über ein Atelier mit Nordlicht und Blick in den Wald. Es entstehen weitere Stillleben und Szenenbilder der Stadt Zürich – inspiriert auch durch Aufenthalte im Café ­Odeon. Ihre Tochter Eva wird Schauspielerin und heiratet den bekannten Filmemacher Kurt Früh. Man kann einen Bezug herstellen zwischen Motiven gewisser Zeichnungen von Mimi Langraf und Szenen aus den Früh-­Filmen.
Während der intensiven Aus­einandersetzung mit der Malerei kommt Mimi Langraf mit verschiedenen Kunstströmungen in Kontakt. Während ihres Schaffens hörte sie nie auf, an den immer wieder neu aufkommenden Bewegungen bis zum Tachismus und den Informellen geistig teilzunehmen und sich inspirieren zu lassen.

Ab 1943 lassen sich immer weniger gegenständliche Kompositionen und Landschaftsdarstellungen in den Gemälden finden. Es wird abstrakter und figuraler – und doch folgt sie einem klaren Formgerüst, wodurch die Bilder Spannung und Lebendigkeit erhalten.