36/2018 «Finde ich einen seltenen Pilz, ist meine Welt in Ordung»

«Finde ich einen seltenen Pilz, ist meine Welt in Ordnung»

Seit über 25 Jahren amtet Hans-Peter Neukom als Pilzkontrolleur in der Region. Im Interview spricht er über häufige Pilzverwechslungen, schlaflose Nächte und darüber, weshalb «überall hät’s Pilzli dra» so treffend ist.

Mit Hans-Peter Neukom sprach Melanie Marday-Wettstein

Herr Neukom, der diesjährige Sommer war aussergewöhnlich heiss und trocken. Wie geht es den Pilzen in unseren Wäldern?

Bei uns am Hausberg, dem Pfannenstil, nicht sehr gut. Zwar lassen sich einige wenige Speisepilze wie Flockenstielige Hexen-Röhrlinge und Wiesen-Champignons finden, aber in Hülle und Fülle wachsen sie in unseren Regionen momentan nicht. Dies zeigten auch die spärlichen Kontrollen, die wir seit der Öffnungszeit nach den Sommerferien im Kontrolllokal durchführten. Aber Pilzler, die in höheren Regionen wie dem Bündnerland auf Pilzsuche waren, hatten mehr Glück. Sie konnten Steinpilze, Eierschwämme, Parasol-Schirmpilze, verschiedene Täublinge und Semmel-Stoppelpilze für die Küche sammeln.

Dann hat es dieses Jahr also markant weniger Pilze?

Ja, im Vergleich zur letzten Saison hat es in unseren Regionen auffallend weniger Pilze. Der Juli und August waren viel zu trocken. Die wenigen und kurzen Gewitter, die bei uns niedergingen, halfen den Pilzen nicht. Denn der teilweise steinhart getrocknete Boden konnte das Wasser nicht richtig aufnehmen.

Sie haben tagein, tagaus mit Pilzen zu tun. Mögen Sie sich an Ihre erste Pilzpirsch erinnern?

Oh ja! Schon als kleiner Knirps durfte ich mit meinem Schulfreund Attila und seinem Vater Max Lang, dem damaligen Pilzkontrolleur von Küsnacht, ab und zu in die Pilze. Voller Stolz brachte ich jeweils nach einem Ausflug feine Speisepilze nach Hause, die meine Mutter bedenkenlos zu einer köstlichen Mahlzeit zubereiten konnte. Im Laufe der Jahre entwickelte sich mein Interesse an den Pilzen darüber hinaus. Mein Vorgänger Max Lang war für mich ein ausgezeichneter Lehrmeister und animierte mich auch, die Prüfung zum Pilzkontrolleur zu machen.

Mittlerweile sind Sie seit über 25 Jahren Pilzexperte in unserer Region. Sie tragen eine grosse Verantwortung. Hatten Sie schon einmal eine schlaflose Nacht?

Am Anfang meiner Tätigkeit habe ich einmal meinen Vorgänger vertreten. Da kam jemand mit Stockschwämmchen zur Kontrolle, einem guten Speisepilz. Er kann aber mit seinem giftigen Doppelgänger – dem Gift-Häubling – verwechselt werden. Weil dieser eher selten ist, war ich mir nicht ganz sicher, ob es wirklich Stockschwämmchen waren. Der Sammler erzählte dann, er habe versucht, sie vor zwei Jahren auf Holz zu züchten. Zunächst war ich beruhigt, aber irgendwann in der Nacht kam mir der Gedanke, ob es dich doch um den Gift-Häubling gehandelt hatte. Zum Glück war dem nicht so. Wenn ich mir nicht zu hundert Prozent sicher bin, dass es sich um einen Speisepilz handelt, sortiere ich ihn immer aus.

«Im Zweifelsfalle nie», so das Motto des Pilzkontrolleurs.

Ganz genau. Auch ein erfahrener Pilzkontrolleur kennt nie alle Pilze und hat nie ausgelernt. Unter den rund 5 500 Grosspilzarten in unseren Wäldern und Wiesen gibt es sogar so seltene Arten, die man vielleicht gar nie zu Gesicht bekommt. Und manche Pilzarten lassen sich nur unter dem Mikroskop sicher bestimmen, weil sie so ähnlich aussehen. Wichtig bei der Pilzkontrolle ist das sichere und rasche Erkennen – essbar oder giftig.

Bei welchen Pilzen kommt es am häufigsten zu Verwechslungen?

Bei Speisepilzen. Die meisten Pilze sind ja wegen ihrer Zähigkeit oder ihres schlechten Geruches und Geschmackes ungeniessbar. Nur etwa 300 sind essbar und zum Teil begehrte Delikatessen wie Steinpilze, Morcheln und Trüffeln. Ungefähr 200 Pilzarten sind aber mehr oder weniger giftig. Besondere Vorsicht ist aber bei den lebensgefährlich giftigen und auch in der Region vorkommenden Knollenblätterpilzen geboten. Verwechslungsgefahr für ungeübte Pilzsammler besteht dabei vor allem mit verschiedenen essbaren grünen Täublingen und weissen Champignons.

Hatten Sie schon einmal eine Pilzvergiftung?

Nein, zum Glück nicht, aber in jungen Jahren beinahe einmal. Meine damalige Freundin legte beim Sammeln einige wenige giftige Pantherpilze in den Korb. Sie hatte diese mit dem essbaren Perlpilz verwechselt. Der Kontrolleur hat sie natürlich aussortiert.

Wie reagiert man bei einer Pilzvergiftung richtig?

Bei Verdacht auf Pilzvergiftung gibt Tox Info Suisse in Zürich unter der 24-Stunden-Notfallnummer 145 Auskunft. Treten nach dem Genuss einer Pilzmahlzeit Beschwerden auf, so ist in jedem Fall sofort ein Arzt beizuziehen. Wichtig ist auch das Sicherstellen von Pilzresten aus dem Abfallkübel, oder rohe und gekochte Pilzreste, Erbrochenes und eventuell Stuhl zuhanden eines Arztes oder Pilzkontrolleurs weiterzugeben.

Sie haben die Ausbildung zum Spitaldiagnostiker, werden also bei einem Verdacht auf eine Pilzvergiftung in die Spitäler gerufen. Kommt es oft zu Vergiftungen bei kleinen Kindern, die beim Spielen auf der Wiese rohe Pilze in den Mund nehmen?

Solche Einsätze gibt es jedes Jahr. Zum Glück für die Kleinen verlaufen die meisten dieser tatsächlichen oder befürchteten Pilzvergiftungen harmlos. Wenn Vergiftungssymptome auftreten, sind es meistens Bauchschmerzen, Erbrechen und Durchfall. Zu schwereren Vergiftungen, die eine Behandlung im Spital nötig machen, kommt es nur in Einzelfällen. In solchen Fällen ist aber rasches Handeln wichtig. Da ist der Arzt auf die wertvolle Arbeit der Pilzkontrolleure angewiesen, welche die Pilzart schnell identifizieren können und so dem Arzt helfen, eine gezielte Behandlung einzuleiten.

Was fasziniert Sie selber so an den Pilzen?

Die Sammeltätigkeit hat mich bereits als Bub gereizt. Im Herbst, in der freien Natur, unter verschiedenen Bäumen nach den Delikatessen des Waldes zu suchen, abseits vom alltäglichen Stress – dabei kann ich gut abschalten. Finde ich einen seltenen Pilz, den ich zu Hause mit einschlägiger Literatur und Mikroskop bestimmten kann, ist meine Welt in Ordnung.

Haben Sie einen Lieblingspilz?

Den Brätling. Dazu habe ich auch ein spezielles Rezept. Pilze reinigen und in Scheiben schneiden. Diese in Olivenöl gut anbraten und mit Salz und Pfeffer abschmecken. Dazu einen Schuss Whisky geben und dann mit Parmesan über­backen. Auch Reizker eignet sich dafür. Zwiebeln und Knoblauch verwende ich, wenn überhaupt, nur sehr wenig, um das feine Pilzaroma nicht zu übertönen.

Wissen die Leute in unserer Region den Pilzkontrolleur zu schätzen?

Das zeigt unsere Kontrolltätigkeit. Im letzten Jahr führten wir 278 Kontrollen durch und haben gegen 300 Kilo Pilze kontrolliert. Die Leute wissen uns zu schätzen, ebenso, dass wir nach telefonischer Vereinbarung Kontrollen auch ausserhalb der regulären Öffnungszeiten anbieten.

Verraten Sie die besten Pilzplätze in der Region?

(Lacht) Nein! Ich will ja nicht, dass ein gutes Plätzchen mit Herbsttrompeten oder Steinpilzen von allen bevölkert wird. Aber zum Glück finde ich immer wieder Speisepilze, die viele wahrscheinlich gar nicht kennen.

Dann wird selbst am Stammtisch unter ihresgleichen nicht über die besten Fundplätze gesprochen?

Der Fundort von guten Pilzplätzen bleibt natürlich geheim. Aber sicher tauschen wir Pilzler uns untereinander aus, nehmen Pilze mit, besprechen diese und geben uns gegenseitig Tipps. Nur eben verraten wir in der Regel den Fundort von beispielsweise Steinpilzen, Morcheln oder Trüffeln nicht. (lacht)

Nächsten Montag endet die jeweils zehntägige Pilzschonfrist jedes Monats im Kanton Zürich. Macht diese Verordnung überhaupt Sinn?

Kaum. Kürzlich zeigte ein über dreissig Jahre dauerndes Projekt der Forschungsanstalt für Wald Schnee und Landschaft, dass das Wachstum der Pilzfruchtkörper auch durch intensives Sammeln nicht beeinträchtigt wird. Beim Pilzsammeln pflückt man ja nur den Fruchtkörper. Der eigentliche Pilz, das Fadengeflecht oder Myzel, bleibt im Boden und nimmt dadurch keinen Schaden. Aus heutiger Sicht sind Pilzschutzverordnungen eher politisch als wissenschaftlich begründet.

Sie wären also, wie es in vielen Kantonen bereits der Fall ist, für die Aufhebung der Schontage im Kanton Zürich.

Auf jeden Fall. Es sind ja bereits Bestrebungen im Gang, die Pilzschontage im Kanton aufzuheben.

Gibt es Funde, auf die Sie besonders stolz sind?

Stolz vielleicht nicht, aber zwei Funde waren schon sehr aussergewöhnlich. Bei der Kittenmühle in Herrliberg fanden wir mal eine Krause Glucke von über drei Kilo. Und einmal fanden wir einen Riesenbovist von sage und schreibe siebeneinhalb Kilo, mit dem wir es sogar ins Fernsehen geschafft haben.

Um Pilze zu bestimmen, vertrauen manche auf Pilz-Apps oder Bücher. Ihre Meinung dazu?

Pilz-Apps und Bücher können einem zwar Anhaltspunkte geben, um welche Pilze es sich handeln könnte, doch ist es ein Trugschluss zu glauben, man müsse deswegen nicht mehr zum Pilzkontrolleur. Um ganz sicher zu sein sollten besonders Einsteiger immer einen Kontrolleur aufsuchen. Ich sage nicht, dass diese Apps schlecht sind, aber den Pilzkontrolleur ersetzen sie nicht.

Für die Nahrungsmittelproduktion sind Pilze von immenser Bedeutung. Welche Bedeutung haben Pilze allgemein für Menschen?

Pilze gehören zu den ältesten Lebensformen unserer Erde überhaupt und kommen in fast allen Natur- und Lebensbereichen vor. Schliesslich sind diese in unserer Umwelt und für uns Menschen ebenso unentbehrlich wie allgegenwärtig. Ohne die Wurzelpilze unserer Bäume gäbe es beispielsweise keine Wälder. Ohne Hefepilze gäbe es weder Wein noch Brot und ohne Schimmelpilze weder Salami noch Penicillin. Peach Webers bekanntes Lied «Überall hät’s Pilzli dra» ist sicherlich treffend.

Im Zollikerberg ist die erste Trüffelplantage am Entstehen. Können Sie eine Ferndiagnose machen?

Trüffeln brauchen sechs bis acht Jahre, bis sich sagen lässt, ob die Plantage erfolgreich ist. Ich meine aber, der Standort ist sicher gut gewählt und das Projekt wurde seriös und professionell angegangen. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Trüffelernte sind jedenfalls gegeben.