39/2017 Die Geschichte über eine Geschichte

Die Geschichte über eine Geschichte

Mit «Ein Leben für Ruanda» lässt uns Rolf Tanner in zwei unterschiedliche Leben einer aussergewöhnlichen Frau blicken: seiner Patentante.

Eigentlich lag die Geschichte immer direkt vor seiner Nase. Doch es dauerte, bis Rolf Tanner sich bückte, diese Geschichte aufhob und ins Rampenlicht schob. Aber meist passiert ja alles zum richtigen Zeitpunkt. Als die Eltern des Zollikers mit Margrit Fuchs eine Freundin der Familie zur Patin des Sohnes machten, war das schon aussergewöhnlich, wählte man in den 60er Jahren doch meist Verwandte für diese Position. Rolf Tanner freute es. «Sie war eine Lustige. Nicht so ernst wie die meisten anderen Erwachsenen.» Gerne unternahm er als Kind etwas mit der Gotte, naturgemäss wurden die Treffen dann seltener. Jugendliche interessieren sich nicht so für Patentanten. Auch während Matura und Studium hatte der heute 55-Jährige wenig Kontakt mit Margrit Fuchs. Diese lebte auch kein aufregendes Leben, arbeitete als Sekretärin, engagierte sich in der Kirche. Und als ihre Mutter erkrankte, kündigte die Tochter 1963 ihre Arbeit, um diese zu pflegen. Nach deren Tod kam die Leere. Eine sinnvolle Aufgabe fehlte. Mann und Kinder hatte sie keine. Da war nur noch viel Zeit. Es war ihr Arzt, der den alles verändernden Vorschlag machte: «Machen Sie einen Neuanfang fern der Heimat.» Margrit Fuchs war begeistert, sie wollte in die Dritte Welt, wollte helfen. Doch sie wurde zunächst abgewiesen: Sie sei zu alt mit ihren 53 Jahren. Ein Jahr später war sie das nicht mehr. Im Oktober 1970 stand sie mit viel zu viel Gepäck am Zürcher Flughafen, um nach Ruanda zu reisen, wo sie als Haushälterin einer katholischen Missions-Stelle arbeiten sollte. «Das mit dem Übergewicht habe ich mir als Tugend beibehalten», kommentierte sie später. Auch Rolf Tanner hörte von dem neuen Leben seiner Gotte, doch für ihn stand erst mal die Karriere an. Mit 17 Jahren hatte er Margrit Fuchs einmal nach Ruanda begleitet. «Das war lustig. Alle fuhren in die Ferien nach Spanien, Italien oder noch Jugoslawien, ich flog mit meiner Gotte nach Afrika», erinnert er sich. Nach dem Studium der Geschichte, Publizistik und Politologie und dem Doktorat begann er als Journalist zu arbeiten, wechselte später in den Bereich Kommunikation bei einem Versicherungskonzern. Er stieg auf, wurde Pressesprecher weltweit und zu seinem zehnjährigen Jubiläum erhielt er ein vierwöchiges Sabbatical. «Viele nutzen diese Angebote, um zu reisen. Ich wollte das Gegenteil tun», weiss Rolf Tanner noch. Er mietete eine Wohnung in Arosa und wollte all die Bücher lesen, zu denen er sonst nicht kam. Es sollte anders kommen. Ganz anders.

Karriere für Buchprojekt runtergestuft

Schon ein paar Mal in den Jahren zuvor war die Idee durch seinen Kopf geflattert, ein Buch über Margrit Fuchs zu schreiben. Die hatte in Ruanda ein Zentrum für Waisenkinder, Aidswaisen und Strassenkinder ins Leben gerufen. Doch die Idee war immer weiter geflattert, hatte sich nicht gesetzt. In Arosa tauchte sie immer häufiger auf. Als schliesslich seine Mutter verstarb, war Rolf Tanner klar: Ich schreibe dieses Buch. Er wusste: Würde er noch länger warten, würde es keine Zeitzeugen mehr geben. «Mir war aber auch klar, dass ich nicht neben meinem Job eine Biografie schreiben könnte. Also ging ich zu meiner Chefin.» Rolf Tanner machte das, was nur sehr wenige Männer machen. Er bat quasi um einen Karriereknick. Dass er mit einem 70-Prozent-Pensum seinen bisherigen Job nicht mehr machen konnte, war klar. «Ich ging also in eine Abteilung, in der ich vorher schon mal war.» Die Reaktionen darauf hätten unterschiedlicher nicht sein können. Da war natürlich zunächst seine Frau, Claudia Irniger, die der Idee sofort zustimmte. Viele Reaktionen seien sehr positiv gewesen und meistens von Frauen gekommen. Andere Kollegen hätten mit versteinerten Mienen reagiert, andere gesagt, wie mutig sie das fänden. «Sie sagten aber auch, dass sie sich das niemals trauen würden», weiss der Autor noch. Ganz andere hätten gar nicht reagiert. «Es hat gedauert, bis ich realisiert habe, dass das eben auch eine Reaktion ist.» Anderthalb freie Werktage, dazu einen halben Tag am Wochenende investierte der Zolliker in seine Recherchearbeit. Er interviewte 70 Menschen aus dem privaten und beruflichen Umfeld von Margrit Fuchs, die 90-jährig durch einen Autounfall ums Leben gekommen war. Im Sommer vergangenen Jahres reiste er mit seiner Frau nach Ruanda, um vor Ort Interviews zu führen. Immer wieder wurde ihm bestätigt, was für ein grosses Herz für Kinder und für die Arbeiter die weisse Frau gehabt habe. Schnell wurde ihm auch klar, wie geschickt die Entwicklungshelferin vor Ort gearbeitet hatte. So entwickelte sie das Projekt der Viehaktion: Der Schweizer Spender konnte eine Kuh, Ziege oder ein Schaf «kaufen» und spendete den entsprechenden Betrag in Franken. Vor Ort wurde das Tier dann einer armen Familie ausgehändigt. Das war konkrete Hilfe.

Schon mit zwölf Romane geschrieben

Immer mehr Material trug Rolf Tanner zusammen, dann setzte er sich hin und begann sein Manuskript. «Das ging mir gut von der Hand. Ich habe schon mit zwölf ganze Romane geschrieben, die natürlich nie veröffentlicht wurden», lacht er. Das mit der Veröffentlichung sah jetzt anders aus. Er hatte einen alten Studienkollegen, der mittlerweile einen Verlag hat, kontaktiert. Wollte eigentlich nur wissen, an welche Verlage er sich mit dieser Biografie wenden könne. Der ehemalige Kommilitone sagte: «An mich.» Und so wird am Mittwoch, 4. Oktober, das Buch «Mein Leben für Ruanda» offiziell mit einer Vernissage auf den Markt gebracht. Rolf Tanner selber hat Blut geleckt. Ob er sein Arbeitspensum wieder auf 100 Prozent aufstocken werde, jetzt, wo das Buch doch fertig ist? «Ganz sicher nicht», lacht er. Da gibt es noch so ein paar Ideen für Romane. Da gibt es noch Biografien, die geschrieben werden wollen. Vielleicht ist die Wohnung in Arosa ja bald wieder frei. (bms)