Von A wie Artist bis Z wie Zauberer







63 Kinder und zwei Senioren standen beim Circolino Pipistrello in der Manege und zeigten eine fulminante Show.
Montagmorgen, 9 Uhr. Noch liegt der Dorfplatz Zumikon schläfrig in der Sonne. Die vierte Ferienwoche hat gerade begonnen, und die, die noch oder wieder im Dorf sind, lassen es langsam angehen. Das ändert sich eine Stunde später schlagartig: Der Zirkus ist in der Stadt. Die bunten Waggons des «Circolino Pipistrello» bringen Farbe ins Dorf und rufen die Kinder auf den Plan. Pipistrello – das ist ein Mitmachzirkus.
Das erfahren auch die Mamas und Papas, die ihre Mädchen und Jungen begleiten. Mitmachen ist nämlich auch beim Zeltaufbau angesagt. Schnell zeigen sich die ersten Schweissflecken auf Stirnen und Shirts. Es ist harte Arbeit, mit dem Vorschlaghammer die langen Bolzen in die Wiese hinter dem Dorfplatz zu jagen. Dann muss die schwere Plane entzurrt werden. Kein Kinderspiel – obwohl die Kinder auch mithelfen dürfen. Der nächste Wagen mit unzähligen Zeltstangen muss entladen werden und Domenico, Julian, Max, Moritz, Lavigna, Lara, Sina, Pia, Aida, Delia, Anita, Andy – und wie sie alle heissen – erledigen das in Windeseile. Sie werden alle am Abend sehr gut schlafen können. Und vielleicht träumen sich ja schon von ihrem grossen Auftritt in der Manege. Pünktlich um 9 Uhr sind sie am nächsten Morgen zur Stelle: 63 Kinder, ein Senior und eine Seniorin. Natürlich hätten sich die Organisatoren von Gemeinde, Kirche, Freizeitzentrum und Frauenverein gewünscht, dass mehr ältere Teilnehmer sich für das Generationenprojekt melden – aber erzwingen kann man es nicht. Schnell steht die wohl schwierigste Frage an: Für welche Disziplin melde ich mich? Trapez, Fasslaufen, Akrobatik, Tuch, Jonglage, Clownerie? «Das muss wirklich schnell gehen», erklärt Pipistrello-Mitarbeiterin Rebecca. «Wir müssen sofort sehen, welches Potenzial da ist, was die Kinder mitbringen, auf was wir aufbauen können. Schon am Samstag muss die Show stehen», erläutert die 33-Jährige. Sie ist eine von insgesamt 18 jungen Menschen, die mit dem Circolino durch die Schweiz touren und den sonst freudlosen Dorfplatz beleben: mit Waggons, Wäscheständern, Tischen, Stühlen und Lachen. Rund zwei Jahre blieben die Artisten bei dem Zirkus, erklärt Rebecca weiter. Das Auswahlverfahren sei hart. Nicht nur artistische Fähigkeiten sind gefragt, auch Handwerker werden vor Ort gebraucht.
Begegnungen an Gleis 17
Am Mittwochmorgen wird weiter mit den Kindern geübt. 16 Mädchen und Jungen haben sich alleine für das Trapez entschieden, in zwei Gruppen üben sie in schwindelnder Höhe. Mit unglaublicher Geduld übt sich Nico daneben im Jonglieren. Immer wieder fliegen die bunten Bälle dahin, wo die Hand eben nicht ist. Doch Nico gibt nicht auf, er will doch am Samstag bei der Show Applaus ernten. Am Mittwochnachmittag haben die Mädchen und Buben frei. Dann zeigen die Profis ihre Show «Gleis 17», bei der auf einem Bahnsteig unglaubliche Begegnungen stattfinden. Schon im Januar beginnen dafür die Proben, ab Mitte April geht es dann für ein halbes Jahr auf Tournee durch die ganze Schweiz. Sechs Monate auf engstem Raum? Gibt das keinen Lagerkoller irgendwann? Rebecca winkt ab. «Wir wissen hier alle, dass wir nur miteinander funktionieren.» Aufregung dann am Donnerstagmorgen. Zum ersten Mal dürfen die Nachwuchs-Artisten im Zirkuszelt üben. In einer schnöden Turnhalle am Trapez zu schaukeln oder über den Schwebebalken zu balancieren ist eben doch etwas ganz anderes als in dem dämmrigen, bunten Zelt im Rampenlicht zu stehen oder zu tanzen. Böig bläst der Wind den Regen immer wieder durch die Manege, den ganzen Tag über trommelt das Wasser auf der Plane: Da sind Durchhalteparolen gefragt.
Es stehen nicht nur weitere Proben am Trapez, am Tuch, an den Instrumenten und auf den Fässern auf dem Programm. Es gibt auch eine Führung durch das bunte Wagen-Dorf der Gaukler und Artisten. Die Besucher staunen nicht schlecht: Es gibt einen Wagen mit Waschmaschine, den Küchen-Wagen, Kräuterbeete – und das alles auf engstem Raum. «Da ist mein Kinderzimmer ja dreimal so gross», wundert sich ein kleiner Junge angesichts der Enge in den Wagen.
Wieder mit dabei
Mit von der Partie ist in diesem Jahr auch wieder Urs Maurer – und das obwohl der 67-Jährige sich vor zwei Jahren bei den Proben des Circolino zwei Brüche am Arm zuzog. Nach nur anderthalb Tagen endete 2015 das Projekt schmerzhaft. In diesem Jahr entschied sich der Zumiker dann wohlweislich für die Zaubergruppe, die eben viel weniger Verletzungsgefahr als das Fasslaufen birgt. Mit drei Buben und einem Mädchen übt er die magischen Künste ein und ist begeistert von der Stimmung. «Ich hatte erst so meine Sorgen, ob das klappt, alte und jungen Menschen zusammen. Aber wir harmonisieren extrem gut», schwärmt er. Auch das bunte Treiben auf dem Dorfplatz erfreut ihn. «Man kommt viel schneller miteinander ins Gespräch. Ich bin auf jeden Fall beim nächsten Mal wieder mit dabei», betont Urs Maurer.Am Freitagmorgen bleibt das Zirkuszelt verschlossen – von innen verschlossen. Jetzt steht nämlich die geheime Generalprobe auf dem Programm und die grossen und kleinen Künstler können sich schon mal an die Kostüme und die Zirkusluft gewöhnen. Der genaue Ablauf wird festgelegt, jeder prägt sich ein, wann er wo zur Stelle sein muss. Und es klappt perfekt: Bei der Show am Samstagnachmittag stimmt alles. Nach ein paar Regentagen strahlt die Sonne vom Himmel, die Regenbogen-Kinder geben mit ihrer Jonglage- und Balance-Nummer einen würdigen Einstand. Es folgen kurzweilige Programmpunkte am Boden, in der Luft, auf den rollenden Fässern. Die Magic-Group lässt die Zuschauer staunen, bei den Monstergirls wird es schaurig-schön und bei den Regenbogen-Kindern am Trapez hält man die Luft an. Die Ninjas werden ebenso beklatscht wie die Clowns und Pantomimen, die Rockstars haben einen fulminanten Auftritt und am Wassertuch geht es in schwindelnde Höhe. Durch das Programm, das viel zu schnell vorbei ist, führen drei zauberhafte Direktorinnen samt Hündchen Mimi. Und dann kommt der Moment, den alle am meisten fürchten: die Kinder, weil sie nun aus ihren schillernden Kostümen steigen und sich vom Circolino verabschieden müssen, die Väter, weil nun wieder viel Muskelkraft für den Zeltabbau gefragt ist. Und schon am Sonntag liegt Zumikons Dorfplatz wieder leer in der Sonne – als hätte es den wunderbaren Spuk nie gegeben. (bms)