18/2017 André Becchio: Von Pinguinen zu Pommes

André Becchio: Von Pinguinen zu Pommes

Der Zumiker Künstler war schon Techniker und Tauch­lehrer. Zurzeit besticht er vor allem durch seine Holzskulpturen, die mitten im Wald entstehen.

Die Werkstatt von André Becchio liegt nicht direkt in Zumikon. Es geht Richtung Limberg, quer durch den Wald, vorbei an den letzten Häusern und wenn man denkt, jetzt sei der Weg aber wirklich zu Ende, geht es noch einmal rechts ab. Allrad ist empfehlenswert. Und gutes Schuhwerk. Der Zumiker Künstler hat den alten Stall randgefüllt. Mit viel Werkzeug, einer alten Couch, einem Holzofen. Es hat erstaunlicherweise Handyempfang und ist somit fast ein Männerparadies. Ein überquellendes Paradies, denn alles, was nicht in die niedrigen Räume passt, steht draussen. Und das ist eine Menge. Für das XXL-Nilpferd, das er kürzlich geschaffen hat, musste ein eigener Unterstand gebaut werden. Echte Nilpferde mögen Wasser, Holz-Nilpferde eher nicht. Jetzt entstehen unter dem Dach neue Pinguine für die Klinik Brüschhalde. Einen Teil seiner ersten Kolonie reist immer noch durch die Schweiz. Nach Zermatt, Bad Ragaz und Luzern werden sie ab Mai den Dorfplatz von Unterägeri verschönern. Oft sei er bei der Pinguin-Premiere auf die Arbeiten angesprochen worden. Besonders von vielen älteren Bürgern, deren Enkelkinder nicht genug von den lustigen Tieren kriegen konnten. Warum Pinguine? Wegen der Parade im Zürcher Zoo? «Nein, ich habe mir vor Jahren mit meiner Tochter ein Bilderbuch über Pinguin-Kolonien angesehen und fand die Tiere einfach zauberhaft», erklärt der 47-Jährige. Ein paar Meter weiter steht ein angefangener Elefant. Der Eindruck täuscht: André Becchio ist nicht auf Tier-Skulpturen zu reduzieren.

Nichts ist vor ihm sicher

Eigentlich ist nichts vor ihm sicher: So sägt er aus Holz auch Putzmittel, einen Stabmixer, Putzschwämme. Nichts ist zu banal. Aber alles mit Augenzwinkern. Er entreisst die Vorlagen der Realität, setzt sie in einen neuen Zusammenhang und schon schafft er Aufmerksamkeit. Auch Essen kann als Modell dienen. So wie das Poulet, hinter dem die Pommes wie eine Sonne aufgehen. Essen – das ist ein weiteres Feld von André Becchio. ­Hinter der Werkstatt wuchern Brennnesseln. «Ich möchte mich demnächst mal an Brennnessel-­Risotto versuchen oder an einem Pesto.» Kochen ist eine absolute Leidenschaft von ihm. Die entdeckte er aber erst, als er den Pflichtteil mit Schule und Ausbildung hinter sich gebracht hatte. Nach der Sek folgte eine Lehre als Heizungs-Techniker. «Vier Jahre lang», betont er und man hört heraus, wie lang ihm die vorgekommen sind. Er fing in Zürich im Restaurant Tres Kilos, dem ersten mexikanischen Restaurant der Schweiz unter Freddy Müller (der später das Kaufleuten eröffnen sollte) an und schnupperte im Gastrobereich. Mit dem verdienten Geld leistete er sich eine Reise: Zusammen mit einem Freund ging es für drei Monate nach Hawaii zum Wellenreiten. «Und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass das Leben auch ganz anders sein kann. Aufregend und spannend.» Er blieb dem Wasser treu, wechselte aber die Sportart. André Becchio entdeckte das Tauchen. Schnell war er ausgebildeter Tauchlehrer und arbeitete auf den Fidschi-Inseln, Hawaii und in Thailand. War die Sommersaison vorbei, ging es für ihn nach Davos oder ins Engadin. Die Tage verbrachte er auf dem Snowboard, am Abend stand er in unterschiedlichen Restaurants am Herd. Sieben Jahre ging das so, dann ereilte ihn der Inselkoller. «Ich war auf einer winzigen Insel. Die war so klein, dass man sie an einem halben Tag umrunden konnte. Zu Fuss. Ich wusste einfach, ich will was anderes machen», weiss er noch. 26 Jahre war er damals jung. Keine Sekunde verbrachte er mit dem Gedanken, wieder als Techniker in einem Büro zu sitzen. Aber auch an Kunst dachte er noch nicht. Vielmehr erinnerte er sich an die Pfadi-­Zeit. Daran, dass er schon immer gerne mit Kindern und Jugendlichen zu tun hatte. Also: Sozialpädagogik. Absage um Absage bekam er. Keiner traute ihm, dem Abenteurer, das zu. Keiner konnte sich vorstellen, dass er durchhalten würde. In Basel schliesslich bekam er eine Zusage und absolvierte die Ausbildung berufsbegleitend. Acht Jahre arbeitete er im Küsnachter Kinder- und Jugendheim Fennergut, ehe er nach Zumikon kam. Die Jugendarbeit dort wird vom Freizeitzentrum betreut, das Freizeitzentrum hat eine Holzwerkstatt, und so war es nur eine Frage der Zeit, bis André Becchio dieses Material für sich entdeckte. Es faszinierte ihn. Kurzerhand wurden auch die Bäume im Garten bearbeitet. «Bis ich dachte, ich kann ja jetzt nicht dauernd die Nachbarn nerven.» Er kaufte sich eine Kettensäge, fragte bei umliegenden Bauern nach und zog in den Wald. Und wenn der Stamm dann vor ihm liegt, weiss er genau, welches Objekt sich darin versteckt. Er muss dann nur noch wegsägen, was nicht dazu gehört. Wie bei der witzigen Canon-Kamera, die verspielt hölzern daherkommt. Nein, moderne Kunst, abstrakte Malerei, das ist nicht seine Welt. Seine Kunst muss im wahrsten Sinne fassbar sein.

Mit der Kettensäge fing es an

André Becchio hat frei nach dem Motto «Umwege erhöhen die Ortskenntnis» manche Schleife im Leben gedreht. Jetzt ist er aber dabei, zwei Bereiche seines Lebens zu einer Schnittmenge zusammenzuführen: Kinder und Kunst. So wurde er vermehrt angefragt, bei Pausenplatzprojekten mitzuhelfen. «Eigentlich müsste Holzarbeit ein Schulfach sein», schlägt er vor. In der Schulsozialarbeit erlebt er immer wieder, wie positiv Kinder auf das Hobeln, das Sägen, das Schleifen reagieren. «Da fliegt einem das Sägemehl nur so um die Ohren», lacht der Zumiker. Aber es muss ja auch gar nicht alles zu einer einzigen grossen Schnittmenge kommen, es dürfen auch unterschiedliche Facetten bleiben – so wie er den Kaffee in einer feinen, edlen Tasse serviert. Zum Umrühren reicht er in Ermangelung eines Löffels ein Stöckchen. Er würde gerne weiter die Unterschiede ausleben. Am besten wäre: Einen Tag in der Woche als Koch arbeiten, einen weiteren Tag auf dem Bau, dann wieder sägen. Und in den Ferien in die Berge. Oder auch nach New York. Ein bis zwei Mal im Jahr besucht er die Stadt, schlendert durch Galerien und Museen und erkundet diese riesige Metropole völlig untypisch mit dem Velo. Geboren ist André Becchio übrigens am 4. Juli – dem amerikanischen Unabhängigkeitstag. Wundert irgendwie nicht. Eine Ausstellung mit Werken von André Becchio und Peter Kuyper wird am Donnerstag, 11. Mai, um 18 Uhr in der Villa Meier Severini eröffnet. Zu sehen sind die Arbeiten bis zum 19. Mai. (bms)