Die Probe für den Ernstfall
Unter identischen Bedingungen wie die echte Aufnahmeprüfung wird die Probeprüfung absolviert. Der Tipp des Lehrers: Zeit nehmen, um sich eine gute Geschichte auszudenken.
Der Junge spielt nervös mit einem Stift, am Hals hat er hektische Flecken. Er ist sichtlich aufgeregt. Dabei geht es ja hier nur um das Ergebnis der Probeprüfung, die er im Vorbereitungskurs der Juch-Schule geschrieben hat. Der Ernstfall kommt erst noch. Der 12-Jährige fragt René Walder direkt beim Einstieg des Vier-Augen-Gesprächs: «Und? Hätte ich bestanden?» Hätte er. Nicht famos. Aber er hätte die notwendige Punktzahl erreicht. «Ich glaube, im Aufsatz habe ich das Thema verfehlt», räumt er ein. Auch das bestätigt der Primarlehrer. Doch damit steht der Schüler nicht alleine da. Viele Prüflinge würden viel zu schnell drauf los schreiben. «Nehmt euch zehn Minuten Zeit. Denkt euch eine wirklich passende Geschichte zum Thema aus, und zwar vom Anfang bis hin zum Schluss», gibt René Walder seinen Schülern mit auf den Weg. Immerhin haben sie 60 volle Minuten Zeit, um einen packenden Aufsatz zu schreiben mit Einstieg, Hauptteil und einem sinnvollen Schluss. «Etwas Neues» – so lautete das Thema, das sich der betreffende Prüfling ausgesucht hatte. Er hatte sich vorgestellt, sein Zimmer ganz neu einzurichten, und war in seinem Essay lange durch Ikea geschlendert. «Wenn du das Thema Shopping gehabt hättest, hättest du voll ins Schwarze getroffen», lacht René Walder. Immerhin: Der Schüler grinst jetzt auch leicht. Etwas Gelassenheit und den Glauben an sich selber, das möchte der erfahrene Lehrer den Sechstklässlern gerne mit auf den Weg geben. Und genau deshalb bietet er die Probeprüfung an. Unter identischen Bedingungen geht es um Mathe, Textverständnis und eben den Aufsatz, dazwischen gibt es nur kurze Pausen. Dreissig Jahre hat er in Küsnacht unterrichtet und Gymivorbereitungskurse gegeben, seit einem Jahr ist er nun an der Juch-Schule. So viel wie im vergangenen Jahre habe er allerdings noch nie gearbeitet. Dem Altersdurchmischte Lernen sei Dank. «Die Zeit reicht einfach nicht, um allem gerecht zu werden. Gestrichen werden dann oft die Aufsätze, weil die extrem zeitintensiv zu korrigieren sind», erklärt René Walder, der auch in der Prüfungskommission am Gymnasium «Hohe Promenade» sitzt.
Früher ging es ohne Kurse
Ganz ruhig geht er mit dem Schüler den Text durch, betont auch, was alles gut gelungen ist, was ihm gefällt. Zum Schluss gibt es noch ein aufmunterndes Lächeln. «Versuch, dich in den Ferien wirklich mal zu erholen», mahnt er und ahnt wohl, dass das nicht gelingen wird. Wie manch andere Schüler hat der Junge gleich zwei Vorbereitungskurse zu absolvieren. «Das ist Wahnsinn», so der knappe Kommentar des Lehrers. Er erinnert an die Zeit, als die Sechstklässler im ganzen normalen Unterricht fit für die Prüfung gemacht wurden. Dann kamen die ersten schulinternen Kurse, die ersten kommerziellen Angebote folgten. Mittlerweile fangen Schüler oder Schülerinnen oft schon in der fünften Klasse mit Kursen an. Aus Sorge, das eigene Kind sei benachteiligt, zahlen viele Eltern die teuren Angebote. Zumindest an der Goldküste. «Obwohl es eigentlich die typischen Goldküsten-Eltern nicht gibt, muss ich doch sagen, dass die Zumiker Eltern speziell sind.» Die Erwartungen sind hoch. Oftmals auch die Erwartungen der Kinder an sich selber. Alle sieben Schüler und Schülerinnen, die sich gemeinsam mit René Walder vorbereiten, nehmen sich noch reichlich Hausaufgaben mit. Jede Menge Aufgaben der vergangenen Jahre mit Lösungsblättern liegen parat. «Und wenn es wirklich nicht klappen sollte, seid nicht zu traurig. Ihr könnt in zwei Jahren wieder die Prüfung machen», gibt der Lehrer seinen Schützlingen mit auf den Weg. «Bloss nicht», stöhnt der Junge, «nicht noch eine Prüfung.» (bms)