43/2016 Letzte Ruhe unter dem Baum oder im Gemeinschaftsgrab

Letzte Ruhe unter dem Baum oder im Gemeinschaftsgrab

 

Am Dienstag wird der Toten gedacht, es ist Allerheiligen. Die Bestattungskultur hat sich verändert, was auch die Friedhöfe vor neue Herausforderungen stellt. Ein Rundgang auf dem Zolliker Friedhof.

Vielleicht ist es einer der letzten warmen Herbsttage. Die Sonne taucht den Friedhof in ein warmes, goldenes Licht, Blätter fallen. Es ist früher Nachmittag, bald ist Allerheiligen. Der Zolliker Friedhof ist gut besucht. «Oft sehe ich hier niemanden», sagt Beatrice, die ihren Mann besucht. «Vor ein paar Tagen hatte er Geburtstag». Eine Weile sitzt sie auf einem der Findlinge, die sich beim Buchenhain befinden. Vielleicht hält sie ein Zwiegespräch mit ihrem Hans, vielleicht geniesst sie ganz einfach die Ruhe dieses «magischen Ortes», wie sie sagt. Beatrice ist überzeugt, dass ihr Hans unter der Buche genau am richtigen Ort zur Ruhe gebettet ist. Sie hätten noch zu seinen Lebzeiten darüber gesprochen, dass ein Baumgrab etwas Schönes sei. «In einem Reihengrab hätte er sich nicht wohlgefühlt – gefangen in einem Viereck. Hier ist er frei», sagt sie und weist mit der Hand über die Wiese hoch zum Wald.

Seit bald drei Jahren finden hier Baumbestattungen statt, 28 Menschen fanden seither ihre letzte Ruhestätte unter einem der Bäume des Baumgemeinschaftsgrabes. Die Nachfrage dafür sei recht gross, bestätigt Thomas Hottinger, der leitende Friedhofsgärtner, bei einem Rundgang. «Der Trend geht eindeutig in Richtung Beisetzungen in Gemeinschaftsgräbern.» Nur noch gut 15% aller Beerdigungen seien Erdbestattungen. Auch Sabina Kaiser, die Leiterin des Bevölkerungsamtes, kann diese Zahlen für die Friedhöfe Zollikon und Zollikerberg bestätigen: Inzwischen fielen 31% aller Beisetzungen auf Gemeinschaftsgräber.

Das braucht weniger Platz, als ursprünglich geplant war. Der Zolliker Friedhof existiert seit 1879 und wurde mehrmals erweitert, um der wachsenden Bevölkerung genügend Platz für die letzte Ruhestätte zu sichern. In den 1960er-Jahren wurde in Zollikerberg ein zweiter Friedhof eröffnet, da man mit einer Verdoppelung der Bevölkerungszahl rechnete, was aber nicht eintraf. Die sich verändernde Bestattungskultur führte ebenfalls dazu, dass es heute weniger Friedhofsfläche braucht. Inzwischen hat es grössere Lücken zwischen den Gräbern, oft ganze Grünflächen. «Es hat fast zu viel Platz», findet Thomas Hottinger. «Die vielen Freiflächen verändern einen Friedhof sehr und die Bewirtschaftung der Anlagen wird zu einer Herausforderung.» Dass die Gemeinde diese Entwicklung aufmerksam verfolgt, bestätigt auch Sabina Kaiser.

Ewige Ruhe im Wald

Auch gibt es sie kaum mehr, die Heimatgemeinde von der Geburt bis zum Tod. Die Globalisierung lockt mit Jobs im Ausland, man gründet seine Familie irgendwo auf der Welt. Immer mehr Menschen lassen sich kremieren und entscheiden sich fürs Gemeinschaftsgrab. Andere möchten ihre Asche im See oder im Wald verstreut wissen. Diese Nachfrage bedient die Holzkorporation Zollikon. Sie verkauft seit 2011 sogenannte Ruhebäume für Bestattungen. Den passenden Baum sucht man sich zu Lebzeiten selber aus. Im «Ruhewald» in der Nähe der Waldburg wurden bereits sechs Bäume für die letzte Ruhe gekauft. Der Förster Arthur Bodmer hat den Ruhewald seinerzeit initiiert und mit dem Vorstand der Korporation in die Tat umgesetzt. Für ihn ist die Bestattung im Ruhewald eine stimmige Alternative: «Auf dem Friedhof wird das Grab nach 25 Jahren aufgehoben, mit der letzten Ruhe ist es dann vorbei. Der Wald aber bleibt für immer, zumindest nach dem heutigen Wissensstand.»

Gräber als Zeitzeugen

Nicht nur Grabbesucher nutzen den Zolliker Friedhof. Da läuft eine junge Joggerin langsam zum Ausgangstor, eine Spaziergängerin durchquert gemütlich den Friedhof und setzt sich auf eine Bank. Sie erzählt, dass sie in ihrer Studienzeit oft hier gelernt habe. «Ich konnte mich super konzentrieren», und auch heute spaziere sie noch oft durch den Friedhof. Vor allem der alte Teil auf der Seite der Wieslerenstrasse gefalle ihr. «Der mit den alten, schrägen Grabsteinen aus dem 19. Jahrhundert.» Im Nebel sehe das recht gruselig aus. Dass die Gemeinde diese alten Gräber als Zeitzeugen des vorletzten Jahrhunderts stehen lässt, wusste sie nicht. Dieser Friedhofsteil von 1879 ist gesäumt von adrett gestutzten Eiben und Tannen. Auf den Grünflächen weisen alte Kreuze und dunkle ­Granit-Stelen wie Mahnmale zum Himmel. Einige Grabsteine sind wahre Kunstwerke, aus weissem Stein ­gehauen. Aber auch namenlose, moosbewachsene Grabsteine wachsen wie Wülste aus der Wiese. Ja, bei Nebel könnte man sich hier eine Szene aus einem Gruselfilm vorstellen. Im warmen Sonnenlicht jedoch strahlen diese einsamen Grabmahle eine grosse Ruhe aus. Sie zeugen von unserer Endlichkeit. (mut)