41/2016 Weiterbauern – trotz fehlender Arme

Weiterbauern – trotz fehlender Arme

Barbara Lukesch hat sich für ihr neues Buch auf dem Land umgesehen und traf einen Bauern, der auch ohne Arme erfolgreich seinen Betrieb führt.

ZOLLIKON. Die heimische Buchautorin Barbara Lukesch hat sich schon unterschiedlichster Themen angenommen. Sie schrieb über Väter, über erfolgreiche Frauen, über guten Sex und das Leben mit AIDS. Nun hat sie sich einer ganz anderen Welt gewidmet: dem Leben auf dem Land. Mit dem Buch „Bauernleben – die unglaubliche Geschichte des Wisi Zgraggen“ legt sie ein Werk vor, das zwei Seiten hat. Es stellt den Alltag eines Bauern vor und auch einen ganz besonderen Menschen, der durch seine positive Energie verblüfft. Dabei hat nicht Barbara Lukesch das Thema gefunden – das Thema fand sie.

Da sie und ihr Mann mittlerweile mehrere Monate im Jahr im Kanton Appenzell Ausserrhoden leben, wuchs Barbara Lukeschs Interesse für die Landwirtschaft und das Leben auf dem Bauernhof. Bei Wanderungen seien peinliche Wissenslücken ans Tageslicht gekommen: Wie genau unterscheiden sich Stier, Ochse und Rind? Die Zollikerin wollte mehr wissen, dazu lernen und darüber schreiben. Genau mit dem Wunsch wandte sie sich an ihre Verlegerin. Die war sofort begeistert. Mehr noch: Sie hatte gleich einen «guten» Bauern in petto. Sie erzählte von Wisi Zgraggen, einem 40-jährigen Landwirt, der bei einem Unfall beide Arme verloren hat und trotzdem einen Hof bewirtschaftet. Barbara Lukesch war irritiert. Sie wollte über einen Bauern schreiben, nicht über einen Behinderten. Trotzdem sagte sie zu, sich zumindest mal mit diesem Mann zu treffen.

Damit war der Grundstein gelegt. Schnell merkte die Autorin, dass Wisi Zgraggen wohl behindert ist, diese Behinderung aber so gut wie möglich ignoriert. Barbara Lukesch erinnert sich an eine Schlüsselszene. Sie war auf dem Hof, sah wie zwei Rinder aggressiv aufeinander losgingen. Wisi Zgraggen pfiff und lotste die Tiere mit Zurufen zum Futterbarren, wo er ihre Köpfe zwischen den metallenen Stangen fixieren konnte. Den Hebel, den jeder andere Bauer mit der Hand umgelegt hätte, bediente er einfach mit dem Fuss. „Ich sah Wisi auf einmal mit anderen Augen. Sein Alltag war von seiner Arbeit geprägt, seiner Frau und seinen vier Kindern. Dass er keine Arme hat, ist eine normale Begleiterscheinung, inzwischen eine Selbstverständlichkeit“, beschreibt es die Schriftstellerin.

In ihrem Buch ist diese Behinderung dagegen doch lange präsent. Die Erzählung beginnt mit dem kleinen Wisi, der sich schon für das Vieh interessierte. Schon mit neun Jahren schlachtete der Junge sein erstes Tier. Dass das Töten zum natürlichen Ablauf auf einem Bauernhof gehört, lernte er schnell. Der Leser folgt dem jungen Mann auf den Lehr- und Wanderjahren, geht mit ihm in die Rekrutenschule und zu wöchentlichen Tanzveranstaltungen. Und dann taucht Barbara Lukesch in die Familiengeschichte ein. Sie skizziert harte Zeiten, in denen die ganze Familie mit anpacken musste. Grosseltern, Kinder – alle arbeiteten auf dem Hof mit. Anschaulich beschreibt die Autorin den Alltag, das Lieben und Leiden. Der Leser erlebt die spannende Geschichte, wie Wisi und seine Frau Angelika sich kennenlernten und heirateten. Dann der Unfall am 16. Oktober 2002. Wisi wollte die drei letzten Heuballen pressen und geriet mit den Armen in die Maschine. Noch während er auf den Notarzt wartete, wurde ihm klar, dass er nie wieder würde melken können. Kurzentschlossen stellten Wisi und sein Vater den Betrieb auf Fleischwirtschaft um. Nein, es lief nicht alles reibungslos. Tränen flossen, manchmal war die Verzweiflung gross, aber die Familie war immer stärker.

Flüssig liest sich der Leser durch die harte Zeit nach dem Unglück, dabei wird die Autorin nie zu sentimental, nie zu dramatisch. Eher interessiert und neugierig folgt sie den Geschehnissen. Was das Buch und die Familiengeschichte aber noch abrundet, ist ein Interview mit dem Bauern am Ende des Buches. Dabei geht es um die tiefe Zufriedenheit, die das Landleben auch ausstrahlen kann und um Fleischkonsum. «Ich finde es gut, dass weniger Fleisch gegessen wird. Fleisch soll keine Massenware sein», sagt da der Fleischproduzent Wisi Zgraggen. Und genau diese Aussage macht ihn authentisch und fast liebenswert. Dass er keine Arme mehr hat, hat der Leser zu dem Zeitpunkt schon völlig vergessen. (bms)

Barbara Lukesch, «Bauernleben – Die unglaubliche Geschichte des Wisi Zgraggen»,  Wörterseh-Verlag.