02/16 Die Treue zur Medizin und die Liebe zur Literatur

Die Treue zur Medizin und die Liebe zur Literatur

Hans Rudolf Bosch-Gwalter schaut auf 90 spannende Lebensjahre zurück. Seinen Kranich-Verlag  betreibt er zusammen mit seiner Frau seit bald 60 Jahren – als Liebhaberei.

Er sei ein Puzzle, sagt er von sich selber. Ein Puzzle mit vielen Teilen, die erstaunlicherweise dann doch irgendwie zusammen passen. Keine Frage: Was Hans Rudolf Bosch-Gwalter in seinen 90 Jahren schon alles erlebt hat, würde für mehrere Leben reichen. Und selbst die wären nicht langweilig. Da ist einmal der Arzt Dr. Hans Rudolf Bosch-Gwalter. Nach der Matura war sich der junge Mann nicht sicher, in welche Richtung es gehen sollte. Er liebte doch die Literatur so sehr. Doch die Vernunft siegte. In der Familie Bosch war die Medizin seit 400 Jahren vertreten gewesen, und so schrieb sich auch Hans Ruedi dafür ein. Niemals habe er das bereut, unterstreicht er. Vor allem wohl auch deswegen nicht, weil er im Studium seine spätere Frau Alice Gertrud kennenlernte. Beide praktizierten als Chirurgen von 1958 bis 1995 gemeinsam. Was ihn mit seiner Frau auch verband, war die Liebe zur Literatur. Beide wurden unter anderem Mitglieder der Deutschen Gesellschaft der Bibliophilen, später sogar Ehrenmitglieder. Doch Hans Rudolf Bosch-Gwalter «konsumierte» Literatur nicht nur, er schuf auch selber welche. Im Jahr 1951 legte der Zolliker die Schrift Lavaters «ABC für junge Eheleute» in bibliophiler Form vor. In erster Linie war das gedacht für seine Verlobte. «Doch die Gemeinde reichte das Büchlein auch an junge Eheleute weiter», erinnert er sich. In den 50er-Jahren sei man noch nicht so sicher gewesen, was der Ehemann oder Ehefrau nun so genau von einem erwarteten. Es blieb nicht bei dem einen Buch. Kurzerhand gründete das Ehepaar 1958 einen eigenen Verlag – den Kranich-Verlag. Was publiziert wurde? «Einfach das, was uns gefiel», fasst Hans Rudolf Bosch-Gwalter zusammen. Beide liebten schöngeistige Literatur, es sollte kein literarisches Fast Food auf den Markt gebracht werden. Es entstanden Bücher wie «Das Hohelied» oder «Das Weisse Buch» über das Werden der Eidgenossenschaft. Und es entstanden Erfolge, so wurde das Buch «Nachtflügge» der Zolliker Studentin Katrin Fischer mit dem «goldenen Letter» von der Leipziger Buchmesse als «schönstes Buch der Welt» ausgezeichnet. In der Schweiz befanden sich gar 19 Mal Kranich-Drucke unter den «schönsten Bücher des Jahres».

Neudeutsch ein «Netzwerker»

Insgesamt hat es der Kranich-Verlag mittlerweile auf 170 Titel gebracht. Trotzdem bleibt die verlegerische Tätigkeit reine Liebhaberei. «Wir haben den Verlag nicht gegründet, um damit viel Geld zu verdienen», hat Hans Rudolf Bosch-Gwalter sich nie Illusionen gemacht. Immer wieder studieren er und seine Frau neue Manuskripte oder Ideen. Und was, wenn es dem einem gefällt, dem anderen aber nicht? «Dann verlegt es einer von uns allein», lacht der Verleger. Die Idee zu dem Verlag sei ursprünglich von seiner Frau gekommen. «Sie hat mich gefragt, was wir wohl mal machten, wenn wir pensioniert sind. Das wissen wir jetzt.» Obwohl der Verlag zugegebenermassen klein ist, war er oft mit einem eigenen Stand auf der Frankfurter Buchmesse vertreten. Dort lernte der Zolliker einst auch Richard von Weizsäcker kennen, zwischen den Männern entwickelte sich sogar eine Freundschaft. Das ist eine andere Seite von Hans Rudolf Bosch-Gwalter. Er ist das, was man neudeutsch einen «Netzwerker» nennt. In seinen 90 Lebensjahren hat er viele interessante Menschen getroffen, Kontakte aufrecht gehalten, Ereignisse geteilt. «Eigentlich bräuchte ich mal einen Ghostwriter für meine eigene Biografie», überlegt er laut. Selber schreiben tut er wenig, wenn dann Haiku, jene traditionelle japanische Gedichtform, die als kürzeste Gedichtform schlechthin gilt. Längeres schreibt er nicht. «Dafür lese ich und lese und lese.» Jeden Abend holt er ein Buch hervor. Natürlich verfügt das Ehepaar über ein Lesezimmer, doch selbst die grösste Bibliothek platzt irgendwann aus allen Nähten. Das hat auch Hans Rudolf Bosch-Gwalter erkannt und begonnen, Bücher auszusortieren, was schwer genug fällt. Natürlich werden diese dann nicht weggeworfen. «Ich werde sie Antiquariaten anbieten», so sein Plan.

Geprägt von der Mutter

Der 90-Jährige ist aber auch ein Familienmensch. Das wird sofort klar, wenn er über seine Mutter spricht, die ihn sehr geprägt hat. Sie war nicht nur auch Ärztin, sondern gründete auch die Obdachlosenhilfe OH im Krieg. «Der Rest der Familie ist zusammen mit den Grosseltern in die Zentralschweiz geflüchtet. Meine Mutter und ich blieben, sie wollte den Menschen einfach helfen», erinnert er sich. Seine Mutter muss aber auch Humor gehabt haben. So staffierte sie irgendwann in den 50er-Jahren ihren Sohn mit Grossmutterkleidern als alte Frau aus, diese nahm an der Zolliker Meisterschaft im Frauen-Armbrustschiessen teil – und gewann. «Ich habe den Ulk natürlich sofort aufgeklärt», erinnert er sich. Fünf Mal wurde Hans Rudolf Bosch-Gwalter, dessen Schwester in Schottland als Komponistin und Organistin lebt, selber Vater. Drei Töchter und ein Sohn leben im Umkreis, ein weiterer Sohn wohnt seit 40 Jahren in Pretoria, Südafrika. Die Liebe zur Medizin scheint in der Familie zu liegen: Seine Tochter Karin und zwei seiner Enkelinnen haben auch diese Richtung eingeschlagen. Und gerade just ist die ganze Familie auf dem Weg Richtung Zollikon. Am 9. Februar feiert auch Alice Gertrud ihren 90. Geburtstag, allerdings im kleinen Rahmen. Hans Rudolf Bosch-Gwalter selber hatte am 21. Dezember im renommierten Zunfthaus «Zur Meisen» mit 120 Personen und Kindern gefeiert. «Wenn wir nochmals so gross eingeladen hätten, wären das ja genau dieselben Leute gewesen.» Gerade erst hat der Jubilar ein Buch über Johannes Koella, einen Maler aus Stäfa, aufgelegt. Doch das nächste Projekt wird schon angedacht. Es soll ja nicht langweilig werden. (bms)