51/2015 Fremde als Freunde – Wunsch und Überforderung

Fremde als Freunde – Wunsch und Überforderung

Weihnachten ist eine besinnliche Zeit. Heinz Meier, katholischer Pfarrer in Zollikon, hat seine Gedanken zu diesen Tagen für uns festgehalten.

In meiner Wohnung hängt dieses Bild des belgischen Malers Antoine Serneels. Es zeigt die Magier, welche zum neugeborenen König Israels ziehen. In der Bibel werden sie als Astrologen vorgestellt. Und sie hielten sich an vornehme, gastfreundliche Gepflogenheiten: Weihrauch, Gold und Myrrhe zeigen ihren kultivierten Anstand. Vielleicht auch wegen dieser reichen Geschenkpalette hielt sie die kirchliche Tradition für Könige. Wie ich von einem Galeristen hörte, porträtierte der Maler im vorne stehenden jungen Mann seinen Freund, einen Indonesier. So zeigt mir das Bild eine Wahlverwandtschaft: Ein Fremder wird zum Freund, und der Freund wird König. Wer möchte da nicht gerne Freund sein? Aber es liegt etwas Befremdliches in der Bewegung der drei. Es fehlt nicht nur der Stern. Sie scheinen zwar ruhig und gefasst, aber überhaupt nicht auf ein Licht zuzugehen. Was hat der Maler empfunden, dass er sie nicht der aufgehenden Sonne entgegen, sondern ­­­­– von rechts nach links – gegen Westen, zur untergehenden Sonne hin wandern lässt? Für mich ist etwas «Kryptisches» in diesen Existenzen. Wer kennt ihre Motive, ihre wahren Absichten? Auch meine ich, etwas Trauer zu spüren und die Mühen des Reisens.Damit passt das Bild in unsere aktuelle Welt. Es ist die Welt der Flucht, des Zurückweichens. Aus dem Osten kommt nicht das Licht, sondern strömen unzählige fliehende Gestalten. Sind es nur Arme? Man sagt, sie seien teilweise hochgebildet. Es könnte sich darunter auch eine Reihe zwielichtiger Menschen verstecken. Wahrscheinlich aber sind die meisten von ihnen schutzbedürftig.

Wie der Staat damit umgehen soll, misst sich an der praktischen Vernunft und an den Menschenrechten. Wie wir uns als Gesellschaft dazu einstellen, wird schon mehr davon abhängig sein, mit welchen Vorstellungen von Moral jeder Einzelne von uns leben will. Und da wird es schwieriger: Einerseits gibt es viele Helferinnen und Helfer, die unseren geflüchteten Mitmenschen in den Durchgangsunterkünften ihre Zeit und Kraft für Sprachkurse, Freizeit u.a.m. schenken. Hier wohnhafte Menschen, reformierte wie katholische Christen aus unseren Pfarreien in Dorf und Berg tun da Vorbildliches. Anderseits täte Besinnung gut: Was bedeutet mir der flüchtende Mitmensch überhaupt? Besinnung und Nachdenklichkeit aber schaffen zunächst Selbstverunsicherung, und es ist nicht leicht, diese zuzulassen. Denn auf einmal kommen uns Fremde ganz nahe. Die grosse Anzahl wirkt bedrängend. Und wir leben manchmal mit einem starren Feindbild ihnen gegenüber –  sollten dabei aber begreifen, dass dies ein Teil unseres Problems ist, auch des Problems, an dem wir als Gemeinschaft leiden. Der katholische Theologe Klaus Mertes hierzu: «In diesem Nachdenken beginnt der Schritt vom Sofa des blossen Zuschauens hinaus auf die Strasse, in die Verantwortung». Der Mensch aber möchte das nicht wahrhaben und scheut die auf ihn zukommende Verantwortung. Aber jeder Prozess des Umdenkens hat nach Klaus Mertes neben der selbst-kritischen auch eine konstruktive Seite: «Es wächst die Möglichkeit, durch Selbstdenken zu eigenen neuen Urteilen über die Wirklichkeit zu kommen. Es geht immer auch um einen Zuwachs an Autonomie und Erkenntnis. Umdenken hat den Aspekt der Selbstentdeckung der Vernunft und damit auch den des Selbstvertrauens. Niemand zwingt mich, mich unsicher vom Strom der Meinungen mittreiben zu lassen. Konfrontiere ich mich mit mir selber, so wird diese Öffnung für Selbstkritik – nicht bloss die wohlfeile Kritik an den anderen – das Selbstvertrauen steigern als Vertrauen in die eigene Fähigkeit, zu Erkenntnissen über sich und die Wirklichkeit zu gelangen.»

Nicht jeder Mensch wird mir ein Freund. Freundschaft ist gegenseitige freie Gabe und Aufgabe. Aber in Offenheit dafür und freundschaftlich auf Fremde zuzugehen, sollte ein Impuls unseres Herzens sein und uns als Mit-Menschen auszeichnen. Das bestimmende Gefühl an der diesjährigen «stillen, heiligen Nacht» wird darum nicht einzig die Freude über die weihnachtliche Botschaft sein, sondern neben der Angst vor Terroranschlägen auch das schmerzliche Wissen einschliessen, dem Anspruch der Menschlichkeit und des Mitgefühls gegenüber den vielen Flüchtlingen nie ganz gerecht werden zu können. Stehen wir dazu: Wir lassen uns in dieser Situation von so viel Neuem und Fremdem leicht verunsichern und überfordern. Aber Wegschauen und Verdrängen sind schlecht. Das Eingestehen solcher Ängste und Schuldgefühle bedeutet nicht, dass unser Wille zu helfen gelähmt wird. Wollen wir nicht versuchen, gerade diesen leidenden Mitmenschen nahe zu sein? Wenigstens im Gedenken und Gebet? Mit einem solchen Herzen könnten wir möglicherweise doch neue Freunde gewinnen – das grösste weihnächtliche Geschenk: die Menschenfreundlichkeit Gottes.