05/2015 Freisinnige Auftritte mit verschiedenen Hüten

Freisinnige Auftritte mit verschiedenen Hüten

Von der schärfsten Waffe des Parlamentariers und der ­Zunahme der Polarisierung im Kantonsrat: Beat Walti sowie Kantonsrätin und Gemeindepräsidentin Katharina Kull-Benz gaben Einblick in ihre politischen Tätigkeiten in Zürich und Bern.

«Wie läuft es in Bern? Gut eingelebt?», diese beiden Fragen bekäme er zurzeit häufig gestellt. Der Freisinnige Beat Walti, von FDP-Parteipräsident Urs Furrer letzte Woche im Kirchgemeindehaus als «unser Mann in Bern» vorgestellt, ist seit letztem Sommer Mitglied des Nationalrats. Drei Sessionen und wohl bereits unzählige Sitzungen später erzählt er in seiner Wohngemeinde im Kirchgemeindehaus auf Einladung der FDP Zollikon von seinen ersten Erfahrungen. Sein Aufritt in Zollikon sei ein besonderer, den er mit verschiedenen Hüten bestreiten werde, meinte er und verdankte die offene Vorgabe, die der Ortsparteipräsident ihm ­gegeben hat.

Beat Walti hat den Platz Nummer 102 im Nationalratssaal bezogen, sein Pult mit persönlichen Gegenständen bestückt und kennt den Ablauf der Geschäftsberatungen. Im informellen Teil heisse Einleben im «Mikrokosmos Parlament» Beziehungen aufbauen. Es sei wichtig zu wissen, wer mit welchen Interessen unterwegs sei, wer mit wem auf welche Ziele hinarbeite, erzählte Beat Walti den über 50 Anwesenden und verglich die Sessionen mit dem WK: «Man trifft sich vier mal im Jahr für ein intensives ­Zusammensein.» Dazwischen herrschten abgesehen von den Kommissionssitzungen streckenweise Kontaktlücken. Der Netzwerkaufbau dauere länger und sei ein anderer als im Kantonsrat, dem er 14 Jahre lang angehört hat. Die Vorwahlzeit, meinte er mit Blick auf die erste Reihe, in der neben der Gemeindepräsidentin und Kantonsrätin Katharina Kull-Benz sieben weitere Kantonsratskandidierende aus dem Bezirk Platz genommen haben, habe auch auf eidgenössischer Ebene bereits begonnen. «Die überdurchschnittliche Profilneurose aller Akteurinnen und Akteure ist deutlich zu spüren», und so werde auch häufig die schärfste Waffe des fleissigen Parlamentariers gezückt: die Intervention, die auf eine Regulierung hinausläuft, was nicht unbedingt dem Gusto der liberalen Selbstheilungskräfte entspreche.

Mobilisierung als Schlüssel

Nach diesem Rückblick auf seine ersten Monate im neuen Amt wandte der Nationalrat aus Zollikon seinen Blick nach vorn auf wichtige zu beratende und zu entscheidende Themen wie der Altersvorsorge 2020 («Jede Lösung ist besser als ein weiterer Schuldenberg.»), der Unternehmenssteuerreform 3 («Kein Handeln ist keine Lösung, es ist wichtig, eine Nachfolgelösung für die Spezialbesteuerungen zu finden, sodass gut steuerzahlende Unternehmen die Schweiz nicht verlassen.»), der Energiestrategie 2050 («Hier heisst die freisinnige Position, mehr Zeit zu gewinnen für den Übergang in eine neu strukturierte Energieversorgung.») sowie die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative («Die Kakophonie der Meinungen ist ein klares Indiz dafür, dass es den einfachen Königsweg nicht gibt.»). Zu sprechen kam er auch auf die Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative, über deren Annahme sich Beat Walti noch immer erstaunt zeigte. Die praktischen Fragen, die sich in der Umsetzung stellen, seien sehr schwierig adressierbar. Auch den aktuellen SNB-Entscheid thematisierte der Freisinnige. Nach der Freigabe des Frankenkurses, der die Ausgangslage für die Wirtschaft dramatisch akzentuiert habe, sei jegliches Experimentieren am System zu unterlassen. «Wir täten gut daran, uns auf die Interessen der Unternehmungen zu konzentrieren, die wirtschaftlich operieren und Arbeitsplätze schaffen wollen», mahnte er, «polit-ideologische Vorstellungen müssen wir begraben.»

Bevor Urs Furrer das Wort Katharina Kull-Benz übergab, setzte Beat Walti noch den Hut des Kantonalpräsidenten auf. Der Schlüssel für den Wahlerfolg, der den Freisinnigen bei den letzten Kommunalwahlen mit Ausnahme von Bülach beschieden war, seien die zusätzlichen Leute, deren Interesse geweckt werden konnte. «Der FDP ist es gelungen, Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren, die vor vier Jahren noch nicht an die Urne gingen.» Hier gelte es anzuknüpfen.

Wunsch nach Kompromissen

Auf das Wahlverhalten kam auch Katharina Kull-Benz zu sprechen, die in erster Linie mit dem Hut der Kantonsrätin auftrat. Seit 2003 gehört die Freisinnige dem Zürcher Parlament an, für das sie heuer erneut kandidiert. Diese Arbeit habe sich in den letzten vier Jahren stark verändert, gab sie Einblick in den «Betrieb Kantonsrat» und führte als einen der Gründe dessen Zusammensetzung auf. Im 180 Mitglieder zählenden Zürcher Kantonsrat sind in der laufenden Amtsdauer erstmals mit den GLP- und BDP-Mitgliedern neun Fraktionen und elf Parteien vertreten. In den Abstimmungen sei dieser Umstand deutlich spürbar, «die Abstimmungsergebnisse sind heute weniger abschätzbar.» Überraschungen ­hätten zugenommen. Als Beispiel nannte sie die Abstimmung über das Autoverbot für Sozialhilfebezüger, als dieses bei der ersten Lesung im Kantonsrat gutgeheissen, bei der zweiten aber mit drei Stimmen mehr gekehrt wurde. Als weitere Gründe für die Veränderungen in den Abstimmungen nannte sie die knapp gewordenen Mehrheitsverhältnisse. «Durch die neue Zusammensetzung sind die Mitte­parteien häufig das Zünglein an der Waage.» Diese würden auch nicht einheitlich und auch nicht zwingend bürgerlich stimmen, was eine Einordnung schwierig mache. Auch unheimliche Allianzen von links und rechts nähmen zu. Als augenfälligste Veränderung bezeichnete die Kantonsrätin die Zunahme der Polarisierung. «Es fehlt die ganzheitliche Politik für die ­Sache», fand sie, «die Suche nach tragfähigen und lösungsorientierten Kompromissen lässt zu wünschen übrig.» Dieser Zustand müsse sich wieder ändern.

Nebst diesen Entwicklungen führte Katharina Kull-Benz auch durch aktuelle Themen aus dem Parlament wie dem kantonalen Finanzausgleich, den sie mehr als Um­verteilung, denn als Ausgleich bezeichnete, dem Gemeindegesetz sowie der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde. Den Hut der ­Bezirkspräsidentin hatte sie auch dabei und thematisierte den Seeuferweg und das Bauen und Planen am Zürichsee, bei dem zurzeit eine Rechtsunsicherheit über das Konzessionsland herrscht. Als schwieriges Geschäft, das unterwegs zur Volksabstimmung ist, bezeichnete sie die Gebühreninitiative, welche die bürgerlichen Meinungen zu spalten scheint. Trotz knapper
Ja-Parole der FDP war Katharina Kull-Benz skeptisch, was die Zuständigkeiten bei einer möglichen Umsetzung betrifft. Den Hut der Gemeindepräsidentin aufgesetzt, bezweifelte sie, dass die Zolliker in Zukunft über jeden einzelnen Franken an den Gemeindeversammlungen diskutieren möchten. Das Referendum habe sie aber nicht ergriffen, dies täten schon genug andere, führte sie aus.

Bevor aber sowohl Gäste als auch die Politiker ihren Hut nahmen, wurde munter weiterdiskutiert über Hüte und andere Kopfarbeit. (mmw)