Dem Krieg den Krieg erklären
Zollikon erhielt am letzten Sonntag hohen Besuch aus Syrien. Der Erzbischof der Melkitischen Griechisch-katholischen Kirche aus Aleppo erzählte in einem Vortrag in der katholischen Kirche über die Situation der Christen in Syrien. Dabei hätte ein Vorfall auf seiner Reise aus Syrien nach Europa ein böses Ende nehmen können.
Es geschieht nicht oft, dass man hier die Möglichkeit erhält, Menschen, die aus dem seit über drei Jahren im Bürgerkrieg steckenden Syrien kommen, direkt zu begegnen. Noch seltener ist es, dass diese Menschen nach einem Kurzaufenthalt in Europa wieder ins vom Krieg erschütterte Land zurückkehren. Der Erzbischof der Melkitischen Griechisch-katholischen Kirche von Aleppo, Youhanna Jeanbart, ist ein solcher Augenzeuge. Er ermöglichte es über 40 Interessierten, ihm in der katholischen Kirche am Sonntag Fragen zu stellen und mehr über die Situation in Syrien zu erfahren.
Dabei grenzt es an ein Wunder, dass der Erzbischof es überhaupt heil in die Schweiz geschafft hat. Auf der Autofahrt von Aleppo nach Beirut im Libanon, so erzählt der Bischof, sei er von einer bewaffneten Bande verfolgt worden, die auf das Auto schoss. Zwei Reifen gingen kaputt, das Auto drehte sich und kam zum Stillstand. Die Bande näherte sich, sah die Insassen – und zog davon. Wieso der Fahrer und der Bischof keinen Schaden davongetragen haben, versteht der Geistliche selbst nicht: «Vielleicht, weil sie sahen, dass wir keinen Besitz hatten? Oder weil sie bemerkten, dass ich ein Ordensmann bin? Oder vielleicht weil zwei Reifen des Fahrzeugs schon kaputt waren und es deshalb wertlos war?», stellt er Vermutungen an. Er ist froh, heil angekommen zu sein, um über die Situation in seinem Heimatland zu berichten und die Bevölkerung in der Schweiz auf das Geschehen in Syrien aufmerksam zu machen.
Erzbischof Youhanna Jeanbart ist seit 19 Jahren in Aleppo, der zweitgrössten Stadt Syriens als Bischof der Melkitischen Griechisch-katholischen Kirche tätig. Gleichzeitig ist er auch für diese Kirchgemeinde in Westeuropa zuständig. Deshalb hat er auch die Möglichkeit, aus- und wieder einzureisen. Christen machen ungefähr zehn Prozent der syrischen Bevölkerung aus; die Mehrheit der Einwohner ist muslimisch. Die Melkitische Griechisch-katholische Kirche ist eine von verschiedenen dort existierenden christlichen Gemeinschaften; sie ist mit der römisch-katholischen Kirche uniert.
Taktik der verbrannten Erde
Kriege, so beginnt der Geistliche auf französisch, das simultan übersetzt wird, habe er in der Region schon viele erlebt. Aber so schlimm wie jetzt sei es nie gewesen. «Es ist ein unmenschlicher Krieg, dessen Strategie die barbarische Taktik der verbrannten Erde ist», erzählt er. Es werde gestohlen und zerstört: Krankenhäuser, Fabriken, Schulen, Gesundheitszentren. «Es ist eine Katastrophe und eine Tragödie.» Entführungen, Autobomben, bewaffnete Überfälle zählt er die Schrecken auf. Auch Bischöfe, Priester und Ordensfrauen werden nicht verschont; viele wurden entführt, einige umgebracht. Mehrere hundert «Märtyrer» seien zu beklagen, Christen, welche umgebracht wurden, weil sie ihrem Glauben nicht abschwören wollten, so der Geistliche. Dabei, so erklärt er, komme es darauf an, wo man wohne und unter wessen Kontrolle man stehe. Ein Teil Aleppos stehe unter der Herrschaft der Regierung; da geniesse man einen gewissen Schutz. Die Vororte unterstehen Rebellengruppen.
In seinem Vortrag scheut sich der Bischof nicht, seine politische Meinung kundzutun. Das Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen habe, so der Bischof, vor dem Beginn des Aufstands funktioniert. Die Christen seien nicht schlecht behandelt worden; man habe sich nicht in die Politik eingemischt. Das Regime war diktatorisch, bestätigt er, und nur eine Partei habe geherrscht. Anfangs habe er den Aufstand deswegen auch als legitim angesehen, als Kampf für Demokratie und Freiheit. Doch mit der Zeit sei er kritischer geworden. Er hält es nicht für einen Aufstand, sondern für ein Komplott. «Es ist ein zerstörerischer Krieg, der von verschiedenen Nationen auf syrischem Boden geführt wird.» Waffen, Geld, Dschihadisten werden aus dem Ausland nach Syrien geschickt. Die Rebellen seien nicht an der Sicherheit des Volkes und der Verbesserung der Situation interessiert, ist der Bischof überzeugt.
Warum so viel Unglück?
Aleppo, die einstige Wirtschaftsmetropole des Landes, mit ihrer 7000-jährigen Geschichte, sei menschlich, materiell und wirtschaftlich verwüstet. Vom früheren Reichtum der Stadt ist nicht viel übrig geblieben. «Warum so viel Unglück in einem so schönen Land?», fragt er. Seine Kirche versucht mit Projekten und Spenden, welche sie auch aus Zollikon erhält, die ärmsten Familien zu unterstützen; und auch die Christen davon abzuhalten, auszuwandern. In Syrien, so der Kirchenmann, entstand einst die erste christliche Gemeinde der Welt. Seit fast 2000 Jahren existiert das Christentum dort. «Wir waren Zeugen der Geburt der Kirche», betont er. Auch in Zukunft solle das Christentum Teil des Nahen Ostens bleiben. Er hofft auf ein Ende des Krieges, auf Dialog und eine politische Lösung. Christen, wie andere Syrer, wollen in Frieden leben können. Für Christen wäre ein politisches System, welches konfessionslos und pluralistisch ist, die ideale Lösung. «Wir müssen dem Krieg den Krieg erklären», zeigt sich der Bischof kämpferisch. Damit sich die Leute wieder versöhnen. Er weiss selbst am besten, wie schwierig diese Aufgabe ist. (sab)