Der Denker
Ludwig Hasler, seit über einem Vierteljahrhundert in Zollikon wohnhaft, ist ein gefragter Denker. Ständig ist der 70-Jährige eingeladen, hält Reden und Vorträge, moderiert Tagungen, denkt über Neues nach, hält andere und auch sich selbst damit in Schwung. Erstmals tritt er am nächsten Montag nun auf Einladung des Kulturvereins in Zollikon auf.
Nach Zollikon verschlug es Ludwig Hasler durch eine glückliche Fügung. Als passionierte Gärtnerin hatte seine Frau lange Zeit den Garten eines hundertjährigen Hauses für die Besitzerin gepflegt – so liebevoll, dass sie nach deren Tod überraschend den Zuschlag fürs Haus bekam. Seit 1987 wohnt es nun da. Für ein Engagement in Zollikon aber fehlte Ludwig Hasler bisher die Zeit. Nicht, weil er es ausgeschlossen hätte, sondern weil er andernorts bereits zu engagiert war. Zeit seines Lebens, als Kind schon. Als er acht Jahre alt war überliess ihm sein Vater den Kartoffelacker der Familie. «Wir waren arm», sagt Ludwig Hasler, «Verantwortung habe ich früh gelernt. Ich wäre schuld gewesen, hätten wir keine Gschwellti gehabt.» Doch die Kartoffeln gediehen prächtig und damit auch das Selbstvertrauen des kleinen Buben.
«Ich stamme aus einer Familie, die man heute bildungsfern nennen würde», sagt Hasler, «doch aus einem geschichtlich und architektonisch interessanten Dorf. Kennen Sie die Stiftskirche Beromünster? Wir brauchten keine häusliche Kultur, wir hatten den katholisch-sinnlichen Barock. Dieser entschädigte uns für alles.» Gesungen sei da worden, Orchestermessen am Laufmeter, nirgends schöner. Beinahe habe er deswegen Opernsänger werden wollen. .
Damals hat er für sich festgestellt, dass der Mensch ein sinnliches Wesen ist, das Freude nicht nur im Geist empfindet, sondern auch an sinnlichen Festen. Auch ihm ging es so. Der Mensch, so stellte er bereits damals fest, ist irgendetwas zwischen Engel und Esel – und genau die Spannung zwischen diesen zwei Polen macht das menschliche Leben so interessant.
«Mit meinem Ministrantenlohn habe ich mir am Freitag beim Dorfmetzger einen Cervelat gekauft und diesen heimlich allein am Waldrand verspeist», erzählt er, «nie mehr hat mir eine Wurst so gut geschmeckt wie diese!» Dazu muss heute wohl gesagt werden: Der fleischlose Freitag war den Katholiken damals heilig, ein Wurstverzehr an diesem Tag mehr als verboten, eine wahrhafte Sünde – eine Sünde, an der Ludwig Haslers Selbstvertrauen weiter wuchs.
Fast verpasste er die 68er
Mit 15 zog Ludwig Hasler von zuhause weg in die Klosterschule nach Disentis. Im Unterschied zu anderen Alternativen war es ihm nach seiner schulischen Vorbildung in Beromünster hier möglich, die Matura in drei statt vier Jahren zu erreichen. Und er wollte vorwärts machen. Er war gierig auf die Zukunft. Dass er später an der Uni Physik, Philosophie, Germanistik und Altgriechisch studierte, ist auf den Benediktinerpater und Naturwissenschaftler Flurin Maissen zurückzuführen, der im Kloster Physik unterrichtete. «Niemals zuvor hatte ich einen Menschen getroffen, der so wach war, so entflammt und so unersättlich nach neuen Gedanken. Genau so wollte ich werden!»
Und damit begann er sofort. Noch am Gymnasium, dann an der Uni. Er wollte alles lernen, alles erfassen. Einstein verstehen. So sehr interessierte ihn dies, dass die revolutionären 68er ihn erst nur im Vorbeigehen streiften. Er war zu beschäftigt, zu sehr versunken in der Bücherwelt, so dass ihm für Vollversammlungen und Strassendemos schlicht die Zeit fehlte. Doch die Veränderungen nahm er sehr wohl wahr. Auch wenn er selbst nie direkt betroffen war, gefiel ihm, dass sich die 68er von der vorherigen Generation abgrenzten, sich von Zweideutigkeiten und Unterwürfigkeit lossagten und einen Aufschwung zur inneren Freiheit auslösten. Es war eine grosse gesellschaftliche Veränderung, die bis heute wirkt.
Dann wurde er Mittelschullehrer, Dozent für Philosophie an den Universitäten Zürich und Bern, Mitglied der Chefredaktion des St. Galler Tagblattes, Miterfinder der Rubrik „«Salzkorn», die bis heute innerhalb des St. Galler Tagblattes lautes Nachdenken über jegliche relevanten Themen erlaubt, Co-Chefredaktor der Weltwoche, Hochschuldozent für Medientheorie, Buchautor, Kolumnist, Bildungsrat, freier Publizist. In jeder Rolle blieb er sich treu, stets selbst entflammt, unermüdlich unterwegs, an Menschen und Gedanken anderer interessiert, immer in Zwiesprache mit sich selbst und anderen, neugierig und wach. «Ich machte wohl aus der Not eine Tugend», sagt er, «denn ich denke nicht gern allein – ich brauche einen Gegenpart.»
Auf Augenhöhe und mit einem Zwinkern
Kein Wunder, ist er heute ein begehrter Gesprächspartner, willkommener Redner, hilfreicher Problemlöser. Ein Wunder eher, wie breitgefächert sein Interesse ist, wie lustvoll sein Umgang mit schwierigen Themen, wie unkompliziert sein Umgang, sowohl mit hohen Kadern wie mit einfachen Leuten. Jedem begegnet er auf Augenhöhe und mit einem humorvollen Augenzwinkern, beginnt gleich eine ernsthafte, offene und partnerschaftliche Zwiesprache.
Das kann nicht jeder. Das kann fast keiner. Flurin Maissen wohl, vielleicht Vater Hasler – aber sonst? Ludwig Hasler ist darin Meister geworden. Es gelingt, ihm seine Gedanken in Worte zu fassen, die grosse Gestaltungskraft haben.
Ein Gefühl, das er oft erlebt ist die Freude, wenn seine Worte Wirkung zeigen, sein Gesprächspartner oder sein Publikum aufhorcht, sich auf die Zwiesprache einlässt, sich zum echten Mitdenken verführen lässt. Und man versteht, dass er damit nie aufhören wird, denn genau dies ist sein Leben. So wie die Musik das Leben der Rolling Stones ist. (db)
Das ausführliche Porträt über Ludwig Hasler ist im Zolliker Bote vom 7. November auf den Seiten 10 und 11 zu finden.
Ludwig Hasler ist nächsten Montag, 10. November, mit seinem Vortrag «Verführung zum Denken» beim Kulturkreis Zollikon zu Gast. 19.45 Uhr, Aula Buechholz.