39/2014 Ein Jahrhundert lang stolze Tessinerin

Ein Jahrhundert lang stolze Tessinerin

Nella Oetterli-Croce ist am 18. September 100 Jahre alt geworden. Mit 99 hat sie noch in ihren eigenen vier Wänden gewohnt – nun feiert sie ihren Geburtstag im Zolliker Wohn- und Pflegeheim am See. Die gebürtige Tessinerin blickt zufrieden auf ein ruhiges Leben zurück.

Dass Nella Oetterli ihren 100-sten Geburtstag im Zolliker Wohn- und Pflegeheim am See feiern würde, war nicht vorgesehen. Noch letzten Herbst wohnte sie in ihren eigenen vier Wänden in Bellinzona und pendelte zwischen ihrem Heim im Tessin und längeren Besuchen bei ihrer Tochter in Zollikon hin und her. Doch im Januar, als sie gerade bei ihrer Tochter weilte, und wegen eines Schwächeanfalls im Spital Zollikerberg gesund gepflegt werden musste, wollte man sie nicht mehr alleine nach Hause lassen. Der Platz im WPZ am See erwies sich als Glücksfall. Auf dem Nachhauseweg von der Arbeit schaut ihre Tochter täglich bei ihr vorbei. Und auch ihre beiden Söhne sind nah und besuchen sie oft.

Nella Oetterli ist Tessinerin. Ihre Kindheit und Jugend hat sie wohlbehütet in Bellinzona verbracht. Im Jahr 1914 geboren, fielen zwei Weltkriege in ihre Zeit, doch ihre Familie blieb davon weitgehend verschont.

Nella Oetterli schloss ihre Schulzeit 1932 mit dem Handelsdiplom im Internat Ingenbohl ab und kehrte in den Schoss der Familie zurück. Gerne hätte sie gearbeitet, doch dafür waren die Zeiten ungünstig. Arbeitslosigkeit war weit verbreitet und als Tochter aus gutem Hause war es nicht angebracht, jemandem die Arbeit wegzunehmen – es stand ihr einzig eine ehrenamtliche Tätigkeit zu.

Aufnahmeprüfung bei der Post

Doch das war es nicht, was sie wollte. Sie wollte – ganz der Vater – zur Post. Dazu musste sie erst eine Aufnahmeprüfung bestehen und dann nach Zürich ziehen – denn einzig in der Wirtschaftsmetropole stellte die PTT damals Frauen an. Nella bestand, zog in eine Pension in Zürich und ging nun täglich zu Fuss zur Fraumünster-Post an die Arbeit. «Ich war die erste und einzige Tessinerin im Betrieb», sagt sie stolz. Nella gefiel es in der Stadt und auch die Pension erwies sich als glückliche Wahl: Wohnte da doch auch Albert Oetterli, der ihr alsbald den Hof machte. «Er war gleich alt wie ich», erzählt sie schmunzelnd, «erst wollte ich nichts von ihm wissen. Ich sagte ihm: ‚Suchen Sie sich  eine Jüngere, sie sind zu jung für mich!‘» Doch Albert liess nicht locker und gewann.  1946, 1948 und 1955 wurden Bruno, Monica und Fabio geboren. Nella Oetterli war fortan Hausfrau und Mutter.

Mit dem Tessin stets stark verbunden

Nella Oetterlis Kinder  wuchsen zweisprachig auf. Da die Grosseltern väterlicherseits früh verstarben, verbrachten sie die meisten Ferien bei den Grosseltern mütterlicherseits im Tessin. Für die ganze Familie waren dies jeweils herrliche Zeiten.

Die Zeit zerrann Nella Oetterli zwischen den Fingern. Schon waren die Kinder erwachsen und 1979 zog sie mit ihrem Mann ins Tessin. Sie wollten ihren Lebensabend da verbringen. Mit dem frühen Tod von Albert 1981 fand dieser Plan ein jähes Ende. «Es ist mein grösstes Leid», sagt Nella Oetterli, «dass mein Mann die Geburt seiner Enkel nicht mehr erleben durfte.» So blieb sie allein im Tessin. Sie machte keine grossen Sprünge, bloss ab und zu eine  Badekur in Abano. «Ich wartete, bis meine Kinder und Enkel in die Ferien kamen, oder bis ich sie das nächste Mal besuchen konnte. Ich freute mich auf sie und so verging die Zeit.»

Auf die Frage, welches denn in ihrem Leben die beste Zeit gewesen sei, meint sie nachdenklich: «Das ist nicht einfach zu beantworten. Alle Zeiten hatten ihre Schönheiten – selbst die schwierigeren.» (db)

Lesen Sie das ganze Persönlich in der aktuellen Ausgabe des Zolliker Boten vom 26. September 2014