Die Flagge behält ihre Farben
Sue Kovacs hatte einen Zweijahresvertrag unterschrieben, als sie für ein internationales Pharmaunternehmen in die Schweiz kam. Heute, acht Jahre später, ist die humorliebende 44-jährige Kanadierin noch immer hier.
Aufgewachsen ist Sue Kovacs in Hamilton in der Provinz Ontario, etwa 70 km südwestlich von Toronto. Bereits im Highschool-Alter nahm sie an einem Studentenaustausch teil. Vier Monate verbrachte sie in Italien. Eine Zeit, die sie auch rückblickend als äusserst bereichernd beschreibt.
«Auch 26 Jahre später bin ich noch mit meiner Gastschwester befreundet. Es war eine unglaublich schöne Erfahrung und es weckte meine Liebe zu Europa.» Nach ihrem Studium der Bewegungswissenschaften in ihrer Heimatstadt zog es die reisefreudige Kanadierin in die Welt hinaus. Zurück zuhause arbeitete Sie dann im Pharma-Marketing bei einer grossen Firma. Die Stelle, die sie schlussendlich in die Schweiz brachte, hätte sie eben so gut in die vereinigten Staaten bringen können. Sich aus dem grossen Kanada für die kleinräumige Schweiz zu bewerben, war eine Herzensentscheidung. Bezüglich Kultur, Mentalität, Berge ähneln sich die beiden Länder – und doch sind sie ganz anders.
Erster Halt Street Parade
Sue Kovacs wurde auf ganz besondere Art in Zürich empfangen. An ihrem Ankunftstag war die Street Parade in vollem Gange. Die Stadt in diesem Ausnahmezustand kennen zu lernen, sei schon etwas speziell gewesen, erinnert sie sich und fügt an: «Ich kannte noch niemanden und wohnte die ersten Wochen mitten in der Stadt. Ich konnte dem Geschehen also nicht ausweichen.» Aber wenn nicht gerade die ganze Stadt von schrillen Party-Kanonen in Neon getaucht wird und zu elektronischer Musik bebt, sei in der Schweiz sehr vieles ähnlich wie in Kanada. «Ich musste mir zum Beispiel schon keine neuen Landesfarben merken. Rot und weiss ist auch die kanadische Flagge. Auch in Kanada gibt es Berge und Seen. Man kann im Sommer baden und im Winter Ski fahren. Die Natur ist in beiden Ländern atemberaubend.» Den grossen Unterschied machten aber die Distanzen, die man zurücklegen müsse. Und obwohl sie sich längere Strecken gewohnt sei, schätze sie genau das an der kleinen Schweiz. «Im Winter gibt es nichts Schöneres, als spontan einen Tag Ski fahren zu gehen. Obwohl ich sehr viel in Kanada herumgereist bin und inklusive Neufundland so ziemlich alles vom Land gesehen habe, habe ich es nie auf die Skis geschafft. Erst hier in der Schweiz lernte ich das Skifahren richtig kennen und liebe es seither sehr.» Wenn Sue Kovacs an ihre ersten Ski-Versuche zurückdenkt muss sie lachen. Sie erinnert sich daran, dass ihr damaliger Partner ihr anbot, ihr das Skifahren beizubringen. «Ich wollte das unbedingt und war Feuer und Flamme. Zumindest bis ich das erste Mal auf der Piste stand.» Mit der Situation und der Koordination völlig überfordert, klappte am Anfang gar nichts. Es sei so schlimm gewesen, dass sie noch auf der Strecke die Ski ausgezogen habe. «Ich streckte sie meinem Begleiter entgegen, fluchte und versicherte ihm, dass ich das nie mehr ausprobieren wolle. Den Weg zur Station habe ich zu Fuss zurückgelegt. Erst als wir unten angekommen waren, meinte er, wir sollten einen weiteren Versuch wagen. Ich bin ihm dankbar, dass er so hartnäckig war. Es wäre eine Schande, hätte ich aufgegeben. Schliesslich sind Skifahren und Schneeschuhwandern heute meine grösste Leidenschaft und meine liebsten Hobbys.»
Typisch Kanada gibt’s nicht
Die vielen Parallelen zu ihrer Heimat, aber auch die hohe Lebensqualität in der Schweiz liessen Sue Kovacs hier bleiben. Unterschiede gebe es aber schon und sie vermisst auch gewisse Dinge. «Typisch kanadische Angewohnheiten oder Vorurteile gibt es meiner Meinung nach nicht, weil sich Kanada aus so vielen verschiedenen Nationen zusammensetzt. Diese Durchmischung ist schön und fehlt mir hier manchmal.» Ebenfalls findet die humorvolle Kanadierin, dass Sarkasmus in Kanada beliebter ist als hierzulande. Schon oft wurde sie hier falsch verstanden, dabei meinte sie ihren Kommentar alles andere als bös. «Aber ich habe festgestellt, dass das vermutlich auch an der Sprache liegt. Im Englischen tönt Sarkasmus anders als auf Deutsch.» Die Sprache ist übrigens auch die grösste Hürde, der Sue Kovacs hier begegnet ist. «Deutsch ist eine sehr schwere Sprache und ich bereue, dass ich es nicht früher intensiver gelernt habe. (fh)
Lesen Sie das ganze Persönlich in der aktuellen Ausbgabe des Zolliker Boten vom 8. August 2014