Das Wort Schizophrenie wurde in Zollikon erfunden
Gut hundert Jahre ist es her, seit der Zolliker Eugen Bleuler den Begriff Schizophrenie geprägt hat. Dafür ist er berühmt geworden. Noch viel verdienstvoller aber war sein starker Glaube, dass Schizophrenie eine heilbare Krankheit ist.
Donnerstagabend. Im ersten Stock des Ortsmuseums findet sich eine aufmerksame Zuhörerschaft ein. Ein Gespräch über das Thema Schizophrenie bildet den Abschluss der Veranstaltungsreihe innerhalb der Ausstellung «Eugen Bleuler (1857–1939) – ein Zolliker schreibt Psychiatriegeschichte».
Mirjam Bernegger, Leiterin des Ortsmuseum, hat dafür ein interdisziplinäres Podium zusammengestellt. «Bleuler hat den Begriff der Schizophrenie, der an diesem Abend im Mittelpunkt steht, 1908 geprägt», erläutert Moderator Daniel Frey. Das Wort, welches Bleuler der griechischen Sprache entnommen und zu einem Fachbegriff zusammengesetzt hatte, bedeutet abspalten(s’chizein) und Seele, Zwerchfell (phren). Unter diesen Oberbegriff stellte er all jene psychisch Kranken, deren Seele sich zeitweise auf mysteriöse Art von ihren Taten völlig abspaltete, und die für ihre Umwelt damit so unverständlich waren, dass sie als Irre in der Gesellschaft nicht tragbar waren. «Man kann sich das so vorstellen, dass ein an Schizophrenie Erkrankter beispielweise lächelnd eine sehr beängstigende Geschichte zu erzählen vermag», erklärt Psychiater Paul Hoff.
Bleulers grosse Leistung sei aber nicht nur die neue Namensgebung, sondern seine Grundhaltung den Patienten gegenüber gewesen. In einer Zeit, in der noch keinerlei medikamentöse Therapien zur Verfügung gestanden hätten und die Hirnforschung in den Kinderschuhen steckte, sei er sich sicher gewesen, dass Geisteskrankheiten heilbar seien.
Neue Sichtweise
Historikerin Brigitta Bernet unterstreicht diesen Sichtwechsel aus historischer Sicht. «Wurden früher Geisteskranke als vom Teufel besessen oder als Menschen schlechten Willens taxiert, begann zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine neue Wahrnehmung. Plötzlich glaubte man an eine Heilungsmöglichkeit und an die Wirkung von Therapien.»
Das war mit Eugen Bleulers Verdienst. Der Sohn eines Zolliker Landwirtes hatte sich nach dem Studium der Medizin unter anderem deshalb für die Psychiatrie entschieden, weil seine Schwester psychisch erkrankt war. Sein Heilungsansatz war, das Umfeld der Patienten so zu gestalten, dass diese sich wohl fühlen und wieder Boden unter ihre Füssen bekommen konnten. Es war sein sozialpolitisches Anliegen, die Patienten möglichst wieder in die Gesellschaft zu integrieren.
Dazu versuchte er, den Alltag in der Anstalt mittels Arbeit zu gestalten. Er wollte keine Beschäftigungstherapie für seine Patienten, sondern für jeden die richtige Aufgabe. Für die einen war dies die Arbeit im eigenen Rebberg, in der eigenen Gärtnerei oder im Haushalt.
Andere fanden Ausdrucksmöglichkeiten in der Kunst. Malen konnte ihre seelische Not lindern. Kathrin Luchsinger, die als Kunsthistorikerin die Arbeit auf sich genommen hat, die Kunstwerke, welche in Schweizer Kliniken entstanden sind, zu inventarisieren, sagt dazu : «Was mich an solchen Werken immer wieder stark berührt, ist, dass in ihnen wirklich sehr schwierige Anliegen verhandelt, geformt und verarbeitet werden.»
Und Psychiater Paul Hoff ergänzt: «Schizophrenie ist eine sehr schwere Erkrankung. Es ist kaum vorstellbar, wie verloren sich die Erkrankten oft fühlen. Im Gegensatz zu den sogenannt Normalen, die ihre Rolle auf der Welt kennen und sich einordnen können, wissen Schizophrene oft nicht, weshalb sie hier sind, weshalb ihnen was passiert, sie hören innere Stimmen und leiden oft unter grossen Ängsten.»
Keine Frage der Dauer
Die Podiumszeit vergeht im Flug. Das Leid psychisch Kranker und ihrer Angehörigen bewegt. Die Frage nach der gesellschaftlichen Wahrnehmung, welche die Grenze zwischen Normal- und Irre-sein bestimmt, macht nachdenklich. Zu Beginn hatte Moderator Daniel Frey darauf aufmerksam gemacht, wie leichtsinnig zuweilen im Alltag Ausdrücke wie «du spinnst», oder «du bist reif fürs Burghölzli» gebraucht werden, zum Schluss erwähnt Paul Hoff eine neuere Untersuchung, die die neuen Schimpfwörter wie «Du Schizo» oder die Sprachwendung: «Du vertrittst ja eine völlig schizophrene Position» untersucht.
Das nachdenkliche Publikum stellt zum Schluss ein paar Fragen: Wie gross ist das Risiko, schizophren zu werden (ein Prozent, und das ist viel!), ist die Krankheit vererbbar (erhöhtes Risiko, doch keine Erbkrankheit), sind äussere Umstände Auslöser eines Krankheitsausbruchs (nur bedingt, doch oft während Zeiten eines Umbruchs oder einer Lebenskrise).
Dann schliesst die letzte Veranstaltung der erfolgreichen Ausstellung mit einem Apéro.
Im Parterre vermischen sich Zolliker und Fachpublikum und diskutieren bei einem Glas Wein weiter. (db)