«Bibliotheken sind keine Archive»
22 Jahre lang arbeitete Annemarie Kaufmann in der Bibliothek Zollikon Dorf, davon elf als Leiterin, letzten Samstag hatte sie ihre letzte Ausleihe. Seit Sommer 2013 ist nun Christa Eichin die Gesamtleiterin der Bibliotheken Dorf und Berg. Ein Gespräch mit den beiden Bibliothekarinnen über den Wandel der Bibliotheken und das neue Angebot an elektronischen Medien, das die Zolliker Bibliotheken seit kurzem anbieten.
Wieso haben sich die Bibliotheken Zollikon und Zollikerberg kürzlich dem Digitalen Bibliotheksverbund Ostschweiz Dibiost angeschlossen?
Annemarie Kaufmann: Aufgrund der Entwicklung der Bibliotheken. Vor 20 Jahren hatten wir noch nicht einmal das Internet, doch heute werden die Bücher nicht nur vor Ort ausgeliehen, sondern auch rund um die Uhr im Netz bestellt. Der Wunsch, ein Buch oder andere Medien online herunterzuladen, ist klar da. Wir haben als Bibliothek angefangen, heute sind wir eine Mediothek.
Christa Eichin: Wir mussten – und wollten auch – auf den digitalen Zug aufspringen, die heutige Zeit verlangt dies und auch unsere Kunden haben uns oft nach dem Angebot gefragt. Elektronische Medien werden heutzutage in einer modernen Bibliothek erwartet. Durch den Anschluss an Dibiost können diese rund um die Uhr und an sieben Tagen der Woche ausgeliehen werden, sowohl e-Books, e-Audio, e-Musik, e-Video wie auch e-Paper. Der Medienstand hat sich auf einen Schlag um 27’000 Medien vergrössert.
Den Verbund Dibiost gibt es im Kanton Zürich bereits seit Juni 2013. Wieso haben sich die Zolliker Bibliotheken erst in diesem Jahr angeschlossen?
Christa Eichin: Dibiost wurde 2008 unter der Leitung der Kantonsbibliothek Vadiana St. Gallen gegründet mit 24 Bibliotheken als Mitglieder aus verschiedenen Kantonen von Schaffhausen bis St. Gallen und Liechtenstein. Der Start des Projekts im Kanton Zürich erfolgte vor gut einem Jahr, mittlerweile hat sich die Mehrheit der Bibliotheken aus dem Bezirk Meilen angeschlossen. Wir wollten abwarten, ob die Nachfrage vorhanden und die Zeit dafür schon reif ist.
Wie viele digitale Medien wurden seit dem Beitritt zum Verbund Dibiost bereits ausgeliehen?
Annemarie Kaufmann: Im ersten Monat wurden rund 150 Medien heruntergeladen, seither steigen die Zahlen monatlich. Wir sind sicher, dass je länger je mehr Kunden das Angebot in Anspruch nehmen werden. Die Rückmeldungen, die wir von unseren Kunden bisher erhalten haben, sind durchwegs positiv, das Angebot wird sehr geschätzt.
Haben Sie keine Angst, dass die Bibliotheken ihren Treffpunkt-Charakter verlieren könnten und Medien nur noch übers Internet bestellt werden?
Annemarie Kaufmann: Nein, der Zugang zu den elektronischen Medien ist ein Zusatzangebot und unterscheidet sich von unserem Medienbestand. Ich bin überzeugt, dass auch in Zukunft viele gerne noch persönlich in die Bibliothek kommen, weil sie in den Büchern schmökern wollen. Ein Buch ist etwas Sinnliches, die Beziehung zu ihm oft emotional. Gerade Familien mit Kindern lieben es, die Bücher gemeinsam auszuwählen und dann zu entscheiden, welche Bilderbücher oder Spiele sie ausleihen möchten. Das digitale Angebot wird bestimmt jetzt zur Ferienzeit sehr gut genutzt werden. Gerade für die langen Sommerferien ist es doch optimal, wenn nicht zehn Bücher eingepackt werden müssen, sondern lediglich ein Lesegerät.
Christa Eichin: Unsere Kunden schätzen auch die persönliche Beratung sehr, die wir ihnen anbieten. Viele kennen wir mittlerweile sehr gut, wir kennen ihr Leseverhalten und wissen, welche Bücher sie interessieren könnten. Beim Büchereinkauf wählen wir die Bücher oft im Wissen, wem wir das Buch empfehlen werden. Die Bibliotheken sind Orte der Begegnung und diese sind in der heutigen schnelllebigen Zeit immer wichtiger. Ich bin sicher, dass die elektronischen Medien die gedruckten nicht verdrängen, sondern ergänzen.
Frau Kaufmann, wie haben sich die Bibliotheken in den letzten 20 Jahren, als Sie hier in Zollikon angefangen haben, verändert?
Annemarie Kaufmann:. Die Arbeit der Bibliothekarin hat sich stark verändert. Die Fachausbildung ist Voraussetzung und wird berufsbegleitend von unserem Verband angeboten. Als ich anfing, arbeiteten wir noch mit Karteikärtchen. Heute erfassen und katalogisieren wir die Medien elektronisch. Der Katalog ist online abrufbar, jeder Kunde kann ihn von zu Hause aus einsehen und Medien reservieren. Wollten wir früher etwas über ein Buch wissen, war der Gang in die Buchhandlung unumgänglich. Heute haben wir zusätzlich das Internet, dadurch hat sich die Recherchearbeit ebenfalls wesentlich verändert.
Christa Eichin: Wir sind auf allen Kanälen präsent, lesen Rezensionen im Internet, hören Buchbesprechungen im Radio und im Fernsehen, informieren uns über die Tageszeitungen und Fachverlage.
Annemarie Kaufmann: Nicht nur das Berufsprofil und die Anforderungen haben sich verändert, sondern auch das Medienangebot. Heute bieten wir folgende Medienarten an: Romane in deutscher, französischer, italienischer und spanischer Sprache, Zeitschriften Sachbücher, Filme, Musik, Hörbücher, CD-ROM, Gesellschafts- und Konsolenspiele. Mussten wir früher vor allem über Bücher und Autoren Bescheid wissen, sind heute Kenntnisse sämtlicher Medienbereiche erforderlich.
Christa Eichin: Unsere Kunden erwarten ein aktuelles Medienangebot. Sie lesen am Morgen eine Buchbesprechung in der Zeitung, kommen am Nachmittag zu uns in der Annahme, dass wir das Buch bereits im Angebot haben. Unsere Hauptarbeit ist es, gut informiert zu sein und zu wissen, was alles läuft im kulturellen Bereich. Im Grund genommen ist es ein Tag- und Nachtjob, dem man auch in der Freizeit nachgeht. Ohne Leidenschaft geht es definitiv nicht.
Lesen Sie das ganze Interview mit den beiden Bibliothekarinnen im aktuellen Zolliker Boten vom 4. Juli und erfahren Sie, welche Bücher in diesem Sommer auf keinen Fall im Reisekoffer und auf dem E-Reader fehlen dürfen.