Eine Zunft ist wie ein Verein
Nächsten Montag ist es wieder so weit, Zürich feiert mit dem Sechseläuten den Frühling. Jürg Scherz, Präsident des Zentralkomitees der Zünfte Zürichs, sagt, warum es Zünfte auch heute noch braucht, aus welchen drei Wurzeln das Fest entsprang und wo sich Zürich in die grösste Heiratsbörse verwandelt.
Das erste Sechseläuten auf dem neuen Platz steht an. Sind Sie aufgeregter als üblich?
Aufgeregt im Sinne von nervös bin ich nicht. Höchstens aufgeregt vor lauter Vorfreude, stehen doch dieses Jahr gleich mehrere Premieren an. Nicht nur der Sechseläutenplatz ist neu, auch kommt mit Obwalden ein Gastkanton ans Sechseläuten, der noch nie da war. Die Innerschweizer sind sehr kreativ, präsentieren eine Älplerchilbi auf dem Lindenhof, stellen gleichenorts Obwaldens touristische Attraktionen in der Form eines Familienparcours vor und am Kinderumzug findet ein Alpabzug mit lebendigen Geisslein statt. Auch haben die Obwaldner ihr weisses Buch von Sarnen mitgebracht, das im Landesmuseum ausgestellt ist.
Was bedeutet Ihnen das Sechseläuten?
Das Sechseläuten ist das grösste Zürcher Fest. Es hat für mich einen bedeutenden symbolischen Wert und vermittelt Traditionen. Ich bin in der vierten Generation am Sechseläuten dabei, bereits als Dreijähriger war ich mit von der Partie. Ich bin auch einer der wenigen Kämbel-Zünfter, die einmal den ganzen Umzug auf dem Kamel reiten durften. Das Sechseläuten gehört zu meinem Leben, ich möchte es nicht missen. Als Präsident des ZZZ den Umzug anführen zu dürfen, ist schon ein ganz besonderes Erlebnis. Ich bin aber jeweils auch froh, wenn der Böögg verbrannt ist, ich in unsere Stube sitzen und dann als ganz normaler Zünfter auf den nächtlichen Auszug (Zunftbesuche) gehen kann.
1336 ist in Zürich die erste „Zouft“ entstanden. Heute gibt es 26 Zünfte.
Wie haben sich die Zünfte über die Jahre verändert?
Heute gibt es 12 historische und 14 Zünfte der neueren Generation. Die Stadtzunft, die 1867 entstand, ist irgendetwas zwischendurch. Die Zürcher Zünfte, die aus einer Handwerkerrevolution entstanden sind, leiteten und bestimmten als politische, militärische, soziale und gewerbliche Institutionen über 450 Jahre lang die Geschicke der Stadt.
Danach hatten die Zünfte als Wahlkörper bis 1866 nur noch eine geringe Bedeutung, bevor sie endgültig ihre Vorrechte verloren. Seither existieren sie als private Vereine. Heute bestimmen die gemeinsame Feier des Sechseläutens sowie die Bewahrung von Tradition und Brauchtum die zünftigen Aktivitäten. Zünfte sind ein wichtiger Teil der Geschichte Zürichs und heute natürlich auch ein Netzwerk.
Was haben die Zünfte heute für eine Bedeutung, ist das Zunftwesen überhaupt noch zeitgemäss?
Auf jeden Fall! In den meisten Zünften besteht eine Warteliste. Und auch unsere „Chäfer“ dürfen nicht vergessen werden. Chäfer sind Helferinnen und Helfer am Kinderumzug, die auf die Kinder schauen und Hilfe leisten, wo sie benötigt wird. Ein Chäfer kann nur werden, wer einen zünftigen Hintergrund hat, also meistens Tochter oder Sohn eines Zünfters ist. Nach dem Kinderumzug am Sonntagabend gehen alle rund 180 Chäfer zusammen in den Zeughauskeller, der sich in die grösste Zürcher Heiratsbörse verwandelt (lacht). Sie sehen, das Zunftwesen ist sehr zeitgemäss!
Ist das Sechseläuten durch das Zunftwesen entstanden?
Das Sechseläuten ist ein Fest mit drei Wurzeln. Zum einen geht es auf die Zünfte zurück, welche die Trägerschaft bilden. Die einstige Gewerbeordnung der Zünfte bestimmte die Arbeitszeiten der Handwerker. Damit hängt die zweite Wurzel des Sechseläutens zusammen: Im Sommer wurde mit dem Läuten um sechs Uhr abends das Ende der Arbeitszeit angezeigt. Vor der Einführung des elektrischen Stroms waren die Berufsleute auf natürliches Licht angewiesen. Nur bis zum Eindunkeln konnte gearbeitet werden, weshalb die Feierabendglocke im Winter gar nicht schlug. Im Frühling, als die Tage wieder länger wurden, begann die Glocke wieder um sechs Uhr zu läuten – das „Sechseläuten“ ging in die Geschichte ein. Schliesslich steht ein heidnischer Brauch für die dritte Wurzel ‒ das sinnbildliche Verbrennen des Winters als Begrüssungsritual zu Ehren der wärmeren Jahreszeiten. (mmw)
Das ausführliche Interview ist im aktuellen «Zolliker Bote» vom 25. April zu finden.