«Sicherheit ist kein Traum, sondern eine Illusion»
Andreas Thiel fällt auf. Einerseits wegen seiner Frisur, anderseits durch seine bissigen Polit-Satiren. Seit einigen Jahren hat der Satiriker seinen Lebensmittelpunkt in Zollikon, verbringt aber einen Grossteil des Jahres in Indien. Wenn er nicht mit seinen Programmen durch die Welt tourt.
Aufgewachsen ist der Wahl-Zolliker in Solothurn und Bern. Zuhause war er aber schon immer in der Welt. «Meine Frau und ich haben zwei Jahre lang in Island und zwei Jahre in Indien gelebt. Auch heute sind wir mit Indien noch stark verbunden und gehen immer wieder dorthin zurück. Gründe für ein Leben im Ausland gab es eigentlich keine. Wir hatten nur eine Idee. Heute sind wir glücklich darüber, dass wir den Schritt gewagt haben.» Bevor man träume, aus Bequemlichkeit oder Sicherheit aber nichts umsetze und sich dafür am Ende reuig sei, sollte man etwas riskieren und einfach mal machen, darüber ist sich der Zolliker sicher. «Viele möchten diese Sicherheit aber aufrecht erhalten und träumen auch von ihr. Sicherheit ist aber kein Traum, sondern eine Illusion. Man versucht also, eine Illusion aufrecht zu halten, und vergisst dabei zu leben.»
Obwohl er bereits zu Schulzeiten wusste, dass er auf die Bühne oder in den Zirkus will, entschied er sich für eine Ausbildung zum Bauzeichner. Sofort nach seiner Lehrabschlussprüfung aber reiste der preisgekrönte Comedian nach London, um dort die Schauspielschule zu besuchen. Anschliessend besuchte er auch immer wieder die «Friedberger Akademie für Poesie und Musik» in Bayern, auch unter dem Namen «Sago» bekannt.
Von seinen eigenen Bühnenprogrammen leben kann Andreas Thiel erst seit einigen Jahren. Um sich die Anfangsphasen seiner Karriere finanzieren zu können, arbeitete er im Service oder als Nachtwächter. «Damals spielte ich alles, was ich konnte. Als Bühnenschauspieler kann man sich seine Rollen oder den Regisseur, mit dem man arbeitet, nicht aussuchen. Man nimmt, was man bekommt. In gewisser Weise prostituiert man sich für die Kunst.»
Zur Satire kam Andreas Thiel eher zufällig. Nach sieben Jahren, in denen er vorwiegend literarische Bühnenproduktionen schrieb, erwähnte die NZZ in einer Kritik, dass das Stück zwar gut sei, aber nicht bissig genug. Eine gewisse Trotzreaktion in ihm führte dazu, dass er das erste politische Programm «mit Biss» schrieb. «Das Programm schlug ein wie eine Bombe. Seit da bin ich bei der Satire geblieben. Wer aber meine Shows besucht, merkt, dass ich den Zuschauern immer wieder auch literarische Abschnitte präsentiere.
Deutscher Kabarettpreis 2013
Die ersten Jahre seiner Karriere trat Andreas Thiel vorwiegend in Deutschland auf. Die Möglichkeiten seien einfach grösser gewesen. «Als ausländischer Künstler war ich in Deutschland spannender als ein einheimischer. Zusätzlich war es schwierig, in die Schweizer Theater- und Kabarettwelt einzusteigen, weil der Markt von den bestehenden Künstlern beherrscht wurde.» Doch auch in Deutschland wurde er in der Anfangszeit gelegentlich regelrecht von der Bühne gebuht. «Damit musste ich lernen umzugehen.» Und die Geduld hat sich ausbezahlt. Im Januar wurde der Zolliker als erster Schweizer überhaupt mit dem Deutschen Kabarettpreis ausgezeichnet.
In Indien kommt er zur Ruhe
Als Kontrast zum stressigen Tour-Alltag in der Schweiz verbringen Andreas Thiel und seine Frau ein Grossteil ihrer Zeit in Indien. Dort kann sich der Künstler die Zeit nehmen zu lesen und zu schreiben. «Und ich lese sehr viel. Man sagt, um auf der Bühne einen guten Satz zu präsentieren, braucht man etwa den Input eines ganzen Buches.» Er liest dann auch nicht etwa Krimis, sondern das wichtigste Werk des Hinduismus, die Bhagavad Gita, oder den Koran. Und ‒ er sieht nicht fern. Denn auch dabei gibt man sich einer Illusion hin. «Nehmen wir Indiana Jones zum Beispiel, ein hervorragender Film. Wenn ich den aber im Wohnzimmer sehe, denke ich, das würde ich lieber selber erleben. Das Leben in Indien ist wie eine Mischung aus Indiana Jones und Star Wars. Die Unterschiede zu Europa sind so gewaltig, dass ich nicht einmal mehr überrascht wäre, wenn mir ein Mann auf einem fliegenden Teppich entgegen käme.» Ruhe suchen der Satiriker und seine Frau auch beim Yoga oder im Himalaya. (fh)
Lesen Sie das ausführliche Persönlich mit Andreas Thiel im aktuellen «Zolliker Bote» vom 28. Februar 2014.