«Strassechind – es Chind ohni Name, es Chind ohni Dihei»
Dass es für sie nicht selbstverständlich ist, jeden Tag genügend Essen und ein schönes Zuhause zu haben, beweisen die Sechstklässler des Schulhauses Oescher mit ihrem einfühlsamen Musical «Strassechind».
Den Kopf tief gesenkt, mit traurigen Augen, zerrissenen Kleidern und Dreck im Gesicht erzählt das Strassenkind Samira ihr Schicksal: «I bin es Strassechind, es Chind ohni Name, ohni Dihei. Strassechind, eis vo Millione, Strassechind. Bi ufem Land gebore als dritts vo acht Chind. Mir händ deheim es chlises Stückli Land gha zum Riis apflanze. S’het meischtens grad glanget, bis di nächschti Ernte cho isch. Mängisch hämmer aber au Hunger gha. Eines Tages isch s’Mami ganz still worde und het agfange brüele. I weiss no so guet, wie sie gseit het: ‹Das isch euse letschti Riis. Jetzt müend au ihr gah.› Scho viel Chind vor eus händ müese i d’Stadt gah zum e chli Gäld verdiene. Am Afang sind sie immer wieder heicho. Aber mit dä Ziit sind sie blibe.» Die Sechstklässlerin, die das Strassenkind Samira am vergangenen Donnerstag in der Aula des Schulhauses Buchholz spielt, wirkt auf der Bühne so überzeugend, dass es für einmal ganz still wird im Saal. Das junge Publikum, bestehend aus Kindern des Schulhauses ab der dritten Klasse, scheint mit dem Mädchen mitzufühlen und von der Geschichte berührt. Fast 90 Minuten lang verfolgen die Schülerinnen und Schüler das Musical «Strassechind» der 6. Klasse von Erich Löffler und die nahenden Sommerferien rückten für einmal in die Ferne.
Grosses Mitgefühl
Im Anschluss an die gemeinsame Lektüre des bekannten Kinderbuches «Die schwarzen Brüder» von Lisa Tetzner über den als Kaminfegerjungen eingesetzten kleinen Giorgio habe das Thema Kinderarbeit die Klasse nicht mehr losgelassen, wie Primarlehrer Erich Löffler erklärt. Auf der Suche nach einer Idee für ein Musical sei er auf ein Stück über Strassenkinder gestossen, das die Klasse sofort begeisterte. Das Drehbuch hätten sie dann zusammen umgeschrieben und mit eigenen Ideen ausgeschmückt. «Es war unser Ziel, dem Publikum ein Stück zu zeigen, das ein ernstes Thema aufgreift und doch lockere und humorvolle Elemente enthält.» Dass dies der Klasse von Erich Löffler bestens gelungen ist, zeigte sich schon nach den ersten Minuten im Publikum: Immer wieder lachten die Kinder auf und klatschen Beifall. Die schauspielerischen Leistungen ihrer älteren «Gspänli» beeindruckten sie sichtlich. «Die sind ja voll guet, machet gar kei Fehler», tuschelten die Kinder, oder «Wow, lueg mal, wie frei die all redet und singet, das isch ja genial.» Aber auch die Geschichte selber hatte es den Kindern in der Aula angetan. Bei einer Szene, als die Strassenkinder von ihrem Alltag und den damit verbundenen Raubtouren berichteten, trauten zwei Zuhörerinnen ihren Ohren nicht: «Was chlaue tüend die, das därf mer doch nöd», entrüstete sich ein Mädchen, worauf ihre Freundin sie zu beruhigen versuchte: «Das müend die im Fall, zum überläbe, suscht würdet’s stärbe.»
Vielseitiges Können
Die Zuschauerinnen und Zuschauer bekamen aber nicht nur bewegte Szenen zu sehen, sondern auch viel zu hören. 14 Lieder sang die 15-köpfige Klasse und überzeugte sowohl im Chor wie auch bei den verschiedenen Solos. «Ich hatte Glück, eine musikalisch so starke Klasse zu haben», schmunzelt ihr sichtlich stolzer Lehrer Erich Löffler, «mit einer eher kleinen Klasse ist es nicht ganz einfach, grosses Volumen auf die Bühne zu bringen.» Die talentierten Kinder stellten ihr Können gleich mehrmals unter Beweis. Sei es am Klavier, mit der Geige, Bratsche, Flöte oder der E-Gitarre, immer wieder wechselten die jungen Schauspieler von der Bühne hinter die Instrumente und begleiteten das Stück lautstark. Als einer der Schüler dann noch eine tänzerische Moonwalk-Einlage vorführte, konnten sich die Kinder in der Aula kaum mehr auf ihren Stühlen halten. Wild applaudierend und unter anhaltender Aufforderung zur Zugabe gratulierten sie der Klasse zur gelungenen Aufführung und bekräftigen die Sechstklässler in ihrem Wunsch, am liebsten gleich mit ihrem Musical auf Tournee zu gehen. (mmw)
Mit ihrem Musical «Strassechind» sammelte die Klasse von Erich Löffler an der Elternvorführung Geld für das Strassenkinderprojekt Callecruz in Santa Cruz de la Sierra in Bolivien. Verein Freunde der Strassenkinder von Santa Cruz / Bolivien, Postfach 2155, 8033 Zürich. Spendenkonto: PC 80-27628-6